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2019-01-01 18:26:19, Jamal Tuschick

„Zu leben“ taucht als große Beschwörung immer wieder in den Briefen auf, die Paul Celan an Gisèle Celan-Lestrange schrieb.

Gegen alle Boshaftigkeiten des Lebens

Eine von schweren Prüfungen erschütterte Liebe verband Paul Celan (1920 – 1970), mit der Künstlerin Gisèle Celan-Lestrange (1927 – 1991). Sie vollzog sich im Schatten der großen Nähe zwischen Celan und Ingeborg Bachmann. Sie wurde ferner überschattet von der zunehmenden seelischen Zerrüttung des Lyrikers aus der Bukowina, der erst in den späten vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Paris einen Ort zum Leben fand.

Paul Celan, Gisele Celan-Lestrange - Die Briefe. Mit einer Auswahl von Briefen Paul Celans an seinen Sohn Eric. Aus dem Französischen von Eugen Helmle, Suhrkamp

„Zu leben“ taucht als große Beschwörung immer wieder in den Briefen auf, die Celan an Gisèle Celan-Lestrange schrieb. Das Paar begegnete sich 1951 und heiratet drei Jahre später. Gisèle, Tochter aus gutem Haus, ist von dem Dichter, der sich als Lehrer an der Ecole Supérieur erhält, bis zur Selbstaufgabe eingenommen. Sie wähnt sich in einer Liebe „außerhalb jeder Logik“. Dem Angebeteten konzediert sie: „Du hast schon eine Lebensblume für mich geschaffen“. Celan reagiert zunächst aus einer überlegenen Position. Weltmännisch führt er die Angst an, „die immer gegenwärtig ist, wenn sich das Herz gefährlich einmischt“. Bald nimmt Gisèle sich seiner mit fürsorglichen Absichten an: „Ich möchte dich gegen alle Boshaftigkeiten des Lebens verteidigen“. Sie teilt Celans Groll auf Claire Goll, die den Dichter des Plagiats bezichtigt und nach seiner Auffassung bei ihm in der Kreide steht. Sie kokettiert mit ihrer Unwissenheit und unterschreibt sich als kleine Pfirsichblüte. Man muss wenig über Dichter wissen, um zu wissen, dass diese Variante des Rollenspiels ihnen nicht liegt. Auch Celan strapaziert seine Gisèle mit Alltagsverweigerungen. Er stellt sich ihr anheim als „Dein kleiner Mann“ und als „Ihr kleiner Poet“. Er schreibt aus Deutschland, wo er Walter Höllerer, Heinrich Böll, Siegfried Unseld und, mit den heikelsten Empfindungen, Martin Heidegger trifft. Als „epochal“ überliefert er ein Gespräch mit dem Philosophen im Auto. Im Übrigen gibt Celan Deutschland nicht viel. Sein Deutsch schöpft er aus eigenen Quellen. Im Verlauf der Neunzehnhundertsechziger Jahre gerät sein Leben aus den Fugen. Er bedarf psychiatrischer Betreuung. 1965 versucht der Lyriker seine Frau zu töten, 1970 ertränkt er sich in der Seine.