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2022-06-11 08:32:51, Jamal Tuschick

“Energy never lies.” Sifu Sergio

© Jamal Tuschick

Benign Neglect

Lara Lüders leblose Heldinnen besitzen ein Beharrungsvermögen, das ich mit Robert Walser und seinen Mikrogrammen verbinde. Sie flüchten in die Eigenart, da eine Sicherheit vermutend. Jede Rettung verlängert die Bahn ihres Scheiterns. Lange waren sie Melancholikerinnen, jetzt sind sie Depressive. Die amtierende Stellvertreterin der räsonierenden Autorin begreift sich selbst als „Streunerin“. Gescheitert in drei Berufen, ist sie seelisch obdachlos doch nicht von jeher. Ihr widerfährt der Verlust ihrer Umgebung als einen Verlust von Vertrautem. Die Stadt, in der sie in die Jahre kam und die man mit Frankfurt am Main richtig anspricht, entfremdet sich ihr in schmerzhaften Prozessen.

In der Vermeidung von Schmerz lag die Lebensleistung der Erzählerinnen älterer Romane von Lara. Sie gibt ihre Fernehe nicht auf, obwohl Tillmann ihr in der alltäglichsten Weise ständig näherkommt als der Gatte, ein athletischer Hochschulkarrierist auf dem Weg zur Professur.

Laras Protagonistinnen glückt manches auf den Strecken der Selbstverkleinerung und der Verhornung. Sie veröden ihre Schmerzpunkte und überlassen es anderen, tragisch oder dramatisch abzustürzen und aufzuschlagen. Wie Schnecken kleben sie an abschüssigen Strecken.

Der namenlosen Streunerin fehlt die Kraft, sich zu bewahren. Ferner versagt sie als Restwegbegleiterin für die letzten Personen, die ihr einmal nahestanden. Sie bietet keinen Trost. So leer ihre Existenz auch sein mag: sie erlaubt es ihr nicht, sich anderen zuzuwenden.

Sie kann sich aus den Fängen des Egoismus nicht befreien. Der sinnlose, an keinen Ehrgeiz gekoppelte Egoismus macht aus ihr eine Idiotin. Auf einem Straßenfest in der Schwarzburgstraße trifft sie ihren ehemaligen Ehemann Joschka. Sie erkennt Joschkas Wunsch, auf den letzten Lebensmetern nicht allein zu sein. Das nimmt ein Wrack übel, das glaubt, nach wie vor die Wahl zu haben.

Lara listet die Phänomene der Gleichgültigkeit auf, die Joschkas Tod begleiten. Die Streunerin wendet sich dem Frührentner Herbert zu, der sich anspruchslos zeigt. Zwei Zeitgenossen verschmelzen in der Figur des zurückgewiesenen Joschka: Blutbad-Bernd und Buffet-Kurt. Lara verwurstet Kurts unglaubwürdige Wurstbudenwurstigkeit. Joschka wuchs als Kind der Oma in der Lenaustraße auf, so wie Bernd im richtigen Leben.

Auch Herbert rempelt das Schicksal an. Wieder versagt Laras Heldin als Helferin in der Not. Sie verzieht sich in ein schwach durchblutetes Damals und sucht Anschluss in Erinnerungen an die Eltern. Der Vater war ein Versager, der seinen Größenwahn mit Bescheidenheit maskierte. Die Mutter war lange einverstanden mit dem Mann. Das bleibt Jahrzehnte später ein Rätsel. In den Erinnerungen taucht ein Verkaufsleiter auf, der von der Mutter intim bewirtet wurde. Die heranwachsende Streunerin erkannte die Untreue und deckte sie vor dem Vater ab.

*

Noch existiert die „Stadtnomadin“ nur als Manuskript. Lara liest daraus vor, wenn sie Tillmann gerade besonders vertrauenswürdig findet.