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2022-05-11 06:02:14, Jamal Tuschick

“The true science of martial arts means practicing them in such a way that they will be useful at any time, and to teach them in such a way that they will be useful in all things.” Miyamoto Musashi, The Book of Five Rings

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„Werkzeug wird der Feind uns liefern, bis er verschwunden ist.“ Heiner Müller

Babylonische Angaben

Die Palmach‘s Arab Unit aka Mahleket Hashshar aka The Dawn Unit entstand 1943 und bestand nur sieben Jahre. Zu den Müttern der Infiltrationseinheit gehörte die Königlich-Britische Armee und der Palmach. Ihre erste Gegnerin war die Wehrmacht in Afrika.

David Ben-Gurion dekretierte: “We must help the British in the war as if there was no White Paper, and we must stand against the ‘White Paper’ as if there was no war”. Quelle

Die Agenten (ausnahmslos Männer) konspirierten mit einer nahezu perfekten Abdeckung. Die Mista‘aravim gaben sich - in einer abgewandelten Auslegung der ursprünglichen Begriffsbedeutung - als Araber aus. Die bloße Biografie jedes Einzelnen lieferte eine Legende frei Haus. Die Herkunftsexklaven zwischen Bagdad und Beirut waren so durchlässig gewesen, dass sich die Verkehrsformate der Dominanzgesellschaft beim besten Willen nicht ignorieren ließen. Für ihre konspirativen Aufgaben erarbeiteten sich die Spione die soziale Stämmigkeit arabischer Mehrheitsgesellschafter.

Die Mista‘aravim trainierten Normalität.

Sich mit jenen gemein machen, die Juden verachteten, war das eine. Das andere: nicht wenige Freunde verachteten die Helden als Araber und Schwarzen. Dazu kam: Die Verbündeten waren auch Feinde, nur nicht im Augenblick.

Das ist in jedem Fall eine interessante Konstellation.

„Rommels Afrikakorps rückte nach Ägypten vor - es war nur eine Frage der Zeit, bis das Dritte Reich sich Palästina und den gesamten Nahen Osten einverleiben würde. Die Lage schien so aussichtslos, dass die Regierenden in Britisch-Palästina Pläne für ein letztes Gefecht in den Karmelbergen ausarbeiteten, ähnlich dem der jüdischen Zeloten in Masala zur Zeit der Römischen Kriege. Die Einsatzkarten existieren noch, samt akkurat eingekreisten Positionen für die letzte Verteidigung. Was das für die Juden der Region bedeutete stand schon fest, als über das Schicksal ihrer europäischen Verwandten noch nichts Genaueres zu ihnen durchgedrungen war.“

In der Endzeit der britischen Palästina-Mandatsherrschaft kapitulieren die regulären Ordnungskräfte vor dem kapriolenden Kampfgeist der Sezessionisten. Jüdische und arabische Milizionäre traktieren sich mit allen Mitteln vom Besenstiel bis zur Autobombe. Stümperhafte Spionageabwehr-Laienspieler sammeln und analysieren Informationen. Sie verhaften ohne Rechtsgrundlage und unterziehen vermeintliche Spione peinlichen Verhören.

Eine Krux ergibt sich aus dem Umstand, dass sich Mizrachim überzeugend als Araber ausgeben. Aufgewachsen in arabischen Mehrheitsgesellschaften, fehlt ihnen mitunter nur das muslimische Repertoire, um in ihren Rollen bis zur Unscheinbarkeit aufzugehen.

Matti Friedman, „Spione ohne Land. Geheime Existenzen bei der Gründung Israels“, auf Deutsch von Tim Schneider, Hentrich & Hentrich, 24.90 Euro

Wenigstens auf den ersten Blick löst ihre Gegenwart - im Tarnfleck der ortsüblichen Alltagskleidung - in arabischen Gebieten kein Misstrauen aus, bis - in dem aufgeheizten Klima von 1947/48 - mitunter jeder verdächtig erscheint, der als Fremder wahrgenommen wird. In dieser Phase, so erzählt Matti Friedman in seinem Fact-Thriller, kommt es zur Verhaftung von zwei irakischen Juden, die im Auftrag der Arabische Sektion/ Mahleket Hashshar/ The Dawn Unit die Gegenseite ausspähen. Leicht sind sie nicht zu enttarnen. Bagdad ist weit. Viele babylonische Angaben lassen sich in Jaffa nicht überprüfen. Schließlich verfällt man darauf, die mutmaßlichen Spione wie Brüder zu versorgen und sie in Sicherheit zu wiegen. Sobald sie eingeschlafen sind, will man sie mit einer hebräischen Ansprache auf die Probe stellen.

Ich verrate nicht, wie die Geschichte im Akut des israelischen Staatsgründungsfiebers ausgeht, um die Spannung nicht zu schmälern. Alle Akteure sind am Anschlag. Ständig bringt ein Funke das Fass zum Überlaufen.

Die Wegbereiter der israelischen Sicherheits- und Nachrichtendienste wählen eine entlegene Selbstzuschreibung. Sie bezeichnen sich als Mista‘aravim.

Jacob ‚Yakuba‘ Cohen was the first Jewish activist who actually prayed at Muslim mosques and the first who assimilated into Arab society, having obtained the authentic identity papers of a Muslim Arab. Yakuba assumed the identity of a young Syrian Arab, Jamil Mohammad Rushdi.” Quelle

Die Unterscheidung Mista’aravim kam auf, als Juden, die vor der arabischen Eroberung des Nahen und Mittleren Ostens ebenda lebten, es angezeigt fanden, sich von den (aus Spanien und Portugal ab 1492 zugezogenen) Sephardim abzusetzen.

Den Mista’aravim liefern die eigenen Lebensläufe Legenden frei Haus. Das erinnert an Rudyard Kiplings titelstiftenden Romanhelden Kim.

Der Tipp stammt von Friedman.

Der irisch-basierte Kimball O’Hara wächst zur Hochzeit des Britischen Empires als Waise auf den Straßen von Lahore auf. In der Kombination mit nachgeholter europäischer und buddhistischer Bildung hebt ihn sein Gossenwissen weit über den Durchschnitt jener, die der Krone in den Kolonien dienen.

Nebenbei:

Indigene Straßenkinder sind von solch einen Aufstieg ausgeschlossen. Ihre Street Credibility löst innerhalb der ausbeuterischen Administration keine positiven Erwartungen aus.

Um sich die Sonderrolle der Mista’aravim vor Augen zu führen: Kennen Sie die Serie The Americans?

Niemand könnte auf eine nettere Weise amerikanisch erscheinen als das Ehepaar Elizabeth und Phillip Jennings mit seinen Kindern Paige und Henry. Die Jennings führen das perfekte Familienleben in Washington DC. So tarnen russische KGB-Agentinnen ihre wahren Identitäten. In Rückblenden erzählt wird die Aneignung der amerikanischen Normalität als sowjetischer Lehrstoff.

Die Mista’aravim gehen den entgegengesetzten Weg. Ihre jüdische Identität beziehen sie aus dem Kampf um einen eigenen Staat. Eine mythische Dimension ergibt sich zwanglos aus dem biblischen Überbau. Die Heilige Schrift bietet jede Menge Referenzen.

Aus der Ankündigung

Matti Friedman schreibt die bislang unerzählte Geschichte der geheimnisvollen „Arabischen Sektion“, einer Gruppe jüdisch-arabischer Spione, die im Zweiten Weltkrieg von britischen Spionen und jüdischen Militärführern gegründet wurde. Da sie sich aus Juden zusammensetzte, die aus arabischen Ländern stammten und somit leicht für Araber gehalten werden konnten, war sie dafür auserkoren, geheime Informationen zu sammeln, Sabotageakte und Attentate zu verüben. Als 1948 der erste jüdisch-arabische Krieg ausbrach und große Teile der arabischen Bevölkerung Palästinas vor den Kämpfen flohen, schlossen sich einige Sektionsagenten als Flüchtlinge getarnt diesen an. Sie zogen nach Beirut, wo sie zwei Jahre undercover von einem Kiosk aus operierten und ihre Nachrichten über eine als Wäscheleine getarnte Sendeantenne nach Israel funkten. Während ihrer gefährlichen Arbeit waren sie sich oft nicht sicher, wem sie Bericht erstatteten und manchmal sogar, wer sie selbst geworden waren. Von den zwölf Männern der Einheit zu Beginn des Krieges wurden fünf gefangen und hingerichtet. Aber schließlich wurde ihre Sektion zur Keimzelle des Mossad, Israels Geheimdienst.

Friedman vermittelt überraschende Einblicke in das Wesen des Staates Israel – ein Land, das nach eigenem Selbstverständnis Teil der europäischen Geschichte ist, obgleich mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung aus Ländern des Nahen Ostens stammt. Für alle, die sich für echte Agenten und die Paradoxien des Nahen Ostens interessieren, ist „Spione ohne Land“ eine intime Geschichte von globaler Bedeutung.