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2022-02-12 06:37:52, Jamal Tuschick

© Jamal Tuschick

Arrogante Armut

Goya im Café

Inzwischen sieht Goya liegengebliebene Bildzeitungen mit anderen Augen durch als in der arroganten Armut des selbst Malenden vor vierzehn Jahren. Damals gewann ein Siebzehnjähriger das weltweit prestigeträchtigste Tennisturnier. Boris Becker war der erste ungesetzte, der erste deutsche und der jüngste Wimbledonsieger. Jetzt scheint er am Ende zu sein, während Goya obenauf ist.

War nur ein Kneipenspaß zuerst, sich auszumalen, wie es wäre, die eigenen Bilder und die der anderen Phantast:innen als Leihgaben anzubieten. Rent a picture zum Zweck der Abwechslung für kleines Geld. Für den Preis eines Mittagessens zum Gehen oder im Stehen.

Was sollte da schiefgehen?

Der Strauß auf dem Tresen der Anmeldung ist in jeder Agentur sogar ohne Lieferservice teurer als das Mietwerk einer Städelschülerin, von der man gehört haben könnte. Foyerwände aus Marmor werten die Bilder auf. Die Renommierräume funktionieren wie Galerien. Agenturkund:innen werden mitunter zu Kunstkäufer:innn. Damit hat kein Mensch gerechnet. Goya döst auf der Umlaufbahn seines Erfolgs. Für den einunddreißigjährigen Supermann und Überflieger Becker ist aber Schluss, nach seinem Ausscheiden im Achtelfinale (in Wimbledon) gegen den Australier Patrick Rafter. Wie kann das sein?

Goya daheim

Doris schickt Goya zur Cocktailbar. Mach doch mal ... und Goya macht ohne Anlauf Richtung Verweigerung einen Castro Cooler für den Gast und etwas Sahniges für die eigene Frau. Er handelt großzügig und gleichgültig. Ihm gefällt Doris als feurige Gastgeberin.

„Wir sind Überlebensmaschinen - Roboter, blind, programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden.“ Richard Dawkins

Am Abend

In der Küche rivalisieren und rauchen Nihan und Lydia. Die Lyrikerinnen tragen kaum das Nötigste im ewigen Sommer Neunundneunzig. Goya sitzt wie ausgeladen auf seinem Balkon. Seit einer Weile beobachtet er, wie das Fleisch nachgibt. Das Eigene so wie das der anderen. Die Generationsbesten haben längst ihre zwei Kinder und noch immer den ersten Mann. Der Abbau geht als Lässigkeit durch, die Röcke werden kürzer. Zweiunddreißigjährige verkleinern die Maschen ihrer Netze und schmeißen nicht mehr jeden knurrenden Zwerggurami, Erbsenkugelfisch oder Blutsalmler gleich zurück in die Rinnsteinpfütze.

Sie ergründen nun die Hierarchien in den Regierungsbezirken ihrer Stammitaliener und Lieblingsgriechen. Sie flirten mit dem Personal, lassen sich von Kellnern verwöhnen. Sie sind reif für die Schmiere und das Knallchargenprogramm. Ihre Männer kommen spät, Familien und Freunde treffen sich Abends auf kochenden Gassen. Man prostet sich vor Jims kindgerechter Kneipe zu. Oder man trifft sich auf einen Wein im kinderfreundlichen Biergarten des Esoterikers Halif. Oder man begegnet sich vor der malerischen Pissrinne von Gretes Schwarzburg Zweiundachtzig.

Der Hinterhof von Goyas Haus avancierte zur beliebtesten Gemütlichkeitszelle in unbegreiflichen Prozessen allgemeiner Zuwendung. Vor Jahren hat Grete (zu ihr später mehr) die Pergola, den Rosenbogen und einen Zaun in den Raum gestellt, das Gitterwerk mit einer Kletterhortensie basisbegrünt und mit einer durchblühenden Kletterrose gepimpt. Nun dramatisieren Blaue Prunkwinden, Schwarzäugige Susannen und ostindische Kirschen das Arrangement. Die Kulisse dient vorläufig geklärten Verhältnissen mit Sandkasten, Hüpfburg, Schaukel, Windeltisch und Kinderwagenparkplatz als Hintergrund.

Von Dawkins weiß Goya, dass die „unsterblichen Spiralen“ der Doppelhelix den Schöpfungszweck erschöpfen. Die Gene kämpfen um ihr Überleben in Organismen. Goya betrachtet seine bloßen Füße (Größe sechsundvierzig). Seine direkten Nachbarn Heike und Horst (beide im Sarong) tauchen mit Getränken auf. (Sämtliche Balkonbarrieren wurden niedergelegt, so dass ein durchgängiger Vorsprung voller Kübel und Sportkram zu Etagengeselligkeit einlädt.)

„Sláinte.“

Heike rauscht gleich weiter zu den anderen Frauen.