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2021-11-16 10:22:32, Jamal Tuschick

© Jamal Tuschick

Pharaonische Totenstille

Sprotte macht sich rar, die Gewichte im Haus verteilen sich neu. Sie kann sich vorstellen, mit Traktor in der Wetterau zu leben, es geschehen noch Zeichen und Wunder. Sprottes Ablehnung der Neumieterinnen vereint sie mit Karolin. Die Angelsächsinnen stellen alle in den Schatten, immer sind alle eingeladen. Sie veranstalten Pyjama-Partys im Treppenhaus und tränken die Treppenhausgewächse mit ihren Getränken. Sie singen „We Are The Champions“.

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Tanja hält an ihrer Mundart fest. Die Steilküste ihrer Kindheit hängt als Bild in dem Schachtelreich über Doris' Silberblick. Tanjas merkwürdige Bleibe ist eine Sehenswürdigkeit. Früher hausten in solchen den Treppenhäusern und Versorgungslabyrinthen abgetrotzten Räumen Faktoten; lemurenhaft-gespenstische Erscheinungen, die sich ob des Erschreckens grämten, das sie unter Kindern verbreiteten.

Früher brüteten Vögel in einem Rollladenkasten des Silberblicks. Tillmann bemerkt eine pharaonische Totenstille. Im nächsten Augenblick bricht Wayne durch die Tür, seit der Steinzeit auf dem Kriegspfad. Der amerikanische Militärbiologe schwingt, aufgedreht wie ein Kreisel, sein Kriegsbeil. Tillmann dreht sich aus dem Angriff.

„Soll ich dich retten“? fragt er. Tanja hebt entspannt die haltungsgeschulten Schultern. Ihre Mundwinkel kräuseln sich. Tillmann gestattet sich ein kaum merkliches Achselzucken. Von Wayne verabschiedet er sich mit den Worten:

„Take it easy, altes Haus.“

*

Eine Bahn sinkt in einen Tunnel. Ein Auto fährt durch eine Pfütze. Texas denkt an einen Film, den er vor zehn Jahren zum letzten Mal gesehen habe. Er ist zufrieden bei der Betrachtung eines Mittelstreifens.

Sprotte macht sich rar, die Gewichte im Haus verteilen sich neu. Sie kann sich vorstellen, mit Traktor in der Wetterau zu leben, es geschehen noch Zeichen und Wunder. Sprottes Ablehnung der Neumieterinnen vereint sie mit Karolin. Die Angelsächsinnen stellen alle in den Schatten, immer sind alle eingeladen. Sie veranstalten Pyjama-Partys im Treppenhaus und tränken die Treppenhausgewächse mit ihren Getränken. Sie singen „Walking by Myself“.

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Sie lassen Gläser auf der Treppe stehen. Sie baden und staubsaugen in frühen Morgenstunden. In ihren Kreisen sind sie Celebrities. Das Fernsehen war schon da. Tillmann schraubt den Schlauch vom Hahn, es sind schon Sachen weggekommen im Karneval der Intensität. Raketen der Begeisterung steigen in den Himmel über der Rotlintstraße, Tillmann schafft den Schlauch an seinen Platz, Paulas Häuslichkeit hebt den Keller, „das Souterrain“ gleicht einer Nonnenzelle. Paula duscht im Museum (Tillmanns Wohnung), das hat Tillmann gegen Karolin durchgesetzt, die Paula den Waschraum im Panoramabad empfiehlt. Das öffentliche Bad auf dem Merianplatz kennt Karolin nicht. Sie ist vorläufig endgültig eingezogen. Ihre Härte hält Karolin für ein evangelisches Zuchtresultat, Karolin hält Tillmanns Solidarität für weicheierisch. Sie rät zum Albtraum professionelle Hilfe. Vermutlich wäre sie in einer robusteren Ausgabe Ärztin. Karolin argumentiert so vehement als stünde Polens Freiheit auf dem Spiel, im nächsten Augenblick ist das kein Thema mehr, was interessiert mich mein Geschwätz von eben; wer ist noch mal Paula? Sie ist doch bloß eine Wegelagerin am Rand ihrer Interessen.