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2021-02-17 03:42:24, Jamal Tuschick

#Intersektionalität

To choose to write is to reject silence. Chimimanda Ngozi Adichie

„Now we get ready to rumble.“ Kimberlé Crenshaw

Natasha A. Kelly, Emilia Roig © Jamal Texas Tuschick

Black Backtalk

Worum geht es?

Es geht darum, „Unterdrückung sichtbar zu machen“.

Mit diesem Flammenschwert von einer Feststellung kommt Emilia Roig in die Arena. Sie startet mit der Aufforderung, sich den vielen Formen der Gewalt mit Sichtbarkeit entgegenzustemmen. Emilia Roig zählt zu den Siegelbewahrerinnen der Intersektionalität-Ikone Kimberlé Crenshaw.

Erinnert Ihr euch, wie uns Mayowa Osinubi zurief: „Lasst euch nicht abriegeln und runterregulieren. Geht aus euch heraus, wenn ihr das wollt, auch in der Öffentlichkeit.“ - Seit tough und tragt den Spirit so weiter, wie es Kimberlé Crenshaw vorlebt. Aus dem Katalog ihrer Devisen:

„Intersektionalität ist kein Universitätssport, sondern eine Handlungsanleitung für soziale Gerechtigkeit.“

„Now we get ready to rumble.“

„Wenn Leute behaupten, ich wirke spaltend, entgegne ich: Was ich zu tun versuche, ist sicherzustellen, dass die Spaltungen, die es gibt, uns nicht davon abhalten, eine bessere Welt zu erschaffen.“

Es gibt keinen Feminismus, der Rassismus ausklammert. Kurz gesagt, war das eine wiederholte Feststellung der Galarednerinnen. Intersektionalität sei „a way of seeing“; „ein Depot voller ungehörter Geschichten“; eine Kraftquelle und ein Fundus der Gegenrede – backtalk.

„Die Widerrede hat mich zu einer politischen Person gemacht.“

Vor dreißig Jahren prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff „Intersektionalität“, um das Zusammenspiel von unterschiedlichen Unterdrückungsformen zu beschreiben. Seitdem arbeitet die US-amerikanische Juraprofessorin und Aktivistin unermüdlich daran, unsichtbar gemachte Bevölkerungsgruppen, allen voran Schwarze Frauen, in ihren komplexen Lebenswirklichkeiten sichtbar zu machen. Intersektionalität erlaubt, so ihre Überzeugung, inklusiv politisch zu arbeiten und tatsächlich alle Menschen zu erreichen. Crenshaw hat bereits unzählige Menschen inspiriert und in ihrem Kampf um Gerechtigkeit unterstützt und gestärkt.

Gleitender Signifikant

„Das Ende der Unterdrückung ... ist nichts anderes als ein Bewusstseinswandel.“

„Unterdrückungssysteme beruhen auf sozialen Kategorien.“

Hierarchische Differenzbehauptungen werden mit unhaltbar-biologistischen Begründungen perpetuiert. Nichts beweist eine größere Resistenz gegen Erkenntnisse als das biologische Ressentiment. Das Vorurteil verortet alles Mögliche in den Genen. Gene sind für Rassist*innen wahre Wundertüten. Ich sondiere noch ein bisschen das Gelände, bevor ich Emilia Roigs Werk vorstelle.

Die weiße Welt kommt aus dem Geist pflügender Pioniere - macht euch die Erde untertan. Wo immer sie Neuland entdeckten, war es ihr Land und die Leute, die sie antrafen, sahen ihnen höchstens ähnlich. Sie unterschieden zwischen wilden und zahmen Wilden, in Lateinamerika unterschieden sie den Indio manso vom Indio salvajes. In ihrem Begreifen sympathisierte jeder Kulturfolger, so wie Silberfische und Wanderratten, erfolgreicher mit den Zivilisationsgesandten als die Indigenen. Die katholische Kirche bewahrte dem „Indio manso“ ein Daseinsrecht in seiner Verniedlichung. Sie stellte ihn als Kind der Wildnis hin. Den Mut, die Sache blutig zu Ende zu bringen, forderten andere. Sie nannten es Feigheit, den aus dem Kuckucksnest der Steinzeit gefallenen Wilden im Elend zu lassen, wo er doch nichts anderes als das Elend vererben konnte.

Die kolonial-rassistischen Muster haben ihren Ursprung in schockhaft-traumatischen Begegnungen neuzeitlicher Typen mit altzeitlichen Exoten. Bis dahin war all das, was es zum Beispiel auf der seit der Antike gedachten Terra Australis tatsächlich gab, nur geträumt worden. Das kollektive Unbewusste Europas fand in Amerika, Afrika und Australien seine stärksten Bilder der Andersartigkeit. Das Andere (der Fremde in seiner natürlichen Umgebung) wurde der Natur (Barbarei) zugeordnet, während sich die Raumfahrer des Mittelalters distanzierten. Aus ihren Albträumen sind rassistische Ressentiments gemacht.

Nichts beweist eine größere Resistenz gegen Erkenntnisse als das Ressentiment. Wir sind darauf angewiesen, schnell zu urteilen, und da hilft das Vorurteil. Das erklärt im Verein mit den Machtverhältnissen, warum Menschen nicht aufhören, etwas für biologisch zu halten, was nur einer Konvention entspricht, oder um Hall zu zitieren, „Rasse ist ein gleitender Signifikant“. Der in seinen besten Zeiten zwischen Oxford und Harvard pendelnde Kulturwissenschaftler zieht „Rasse“ oft, aber nicht immer aus dem Rahmen der Markierung eines kontaminierten Begriffs.

Halls Einfälle drehen sich um Kulturbefehle, die Hierarchien dann noch garantieren, wenn jemand Ethnie oder Kultur statt „Rasse“ sagt. Vermutlich ist es noch nicht mal wichtig, ob in der Verwendung dieser Wörter eine Überzeugung veröffentlicht wird oder ob jemand gerade Kreide frisst.

Hall bezeichnet „Rasse“ als eine „Meisteridee der Klassifizierung“ und als „Herzstück“ einer Herrschaft, die Differenz zu ihrem Vorteil produziert. Jede Gegenformel beweist die Kraft des Rassismus.

Hall zeigt, warum „Rasse“ sich als konfrontative Kategorie nicht einfach selbst in der Ethnizität zum Verschwinden bringt. Er macht klar, wie tradierte Erwartungen (etwa einer geringeren Intelligenz bei Schwarzen) als Barrieren noch in den Überwindungen rassistischer Denk- und Sprechweisen Standfestigkeit beweisen. Hall bleibt da nicht stehen. Er entwickelt einen diasporisch-pluralen Begriff von Identität. Er trifft sich mit Patrick Chamoiseau in der Einschätzung von Folgen im Kolonialstil vernichteter indigener Ökonomien. Es sind die Elendsverweigerer, die den Druck an Europas Schmerzgrenzen aufbauen.

"When feminism does not explicitly oppose racism, and when anti-racism does not incorporate opposition to patriarchy, race and gender politics often end up being antagonistic to each other, and both interests lose." - Kimberle Crenshaw © Jamal Texas Tuschick

Aus der Ankündigung

Wir kennen Rassismus, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit, Transfeidlichkeit und vieles andere mehr – und viele von uns empfinden darüber eine manchmal hilflose Wut, denn gerade aktuell scheinen die Gräben durch die Gesellschaft tief, unsere Welt so polarisiert wie nie und die Überwindung dieser Gräben in weiter Ferne. Die einen halten erbittert an etablierten Machtstrukturen fest, die anderen kämpfen in einem immer sichtbarer werdenden Widerstand dagegen an. Die Autorin und Gründerin und Direktorin des Center for Intersectional Justice (CIJ) Emilia Roig untersucht in ihrem neuen Buch „Why we matter. Das Ende der Unterdrückung“ die angesprochenen Konfliktlinien und zeigt auf, dass der für uns alle nötige Transformationsprozess nur durch eines herbeigeführt werden kann: durch eine radikale Solidarität und Gleichberechtigung aller.

Wie erkennen wir unsere Privilegien? Wie können Weiße die Realität von Schwarzen sehen? Männliche Muslime die von weißen Frauen? Und weiße Frauen die von männlichen Muslimen? Die Aktivistin und Politologin Emilia Roig zeigt – auch anhand der Geschichte ihrer eigenen Familie, in der wie unter einem Brennglas Rassismus und Black Pride, Antisemitismus und Ausschwitz, Homophobie und Queerness, Patriarchat und Feminismus aufeinanderprallen –, wie sich Rassismus im Alltag mit anderen Arten der Diskriminierung überschneidet. Ob auf der Straße, an der Uni oder im Gerichtssaal: Roig schafft ein neues Bewusstsein dafür, wie Zustände, die wir für „normal“ halten – die Bevorzugung der Ehe, des männlichen Körpers in der Medizin oder den Kanon klassischer Kultur – historisch gewachsen sind. Und dass unsere Welt eine ganzandere sein könnte. So wagt sich Roig mit ihrem Buch an die wichtigsten und größten Fragen unserer Zeit, schärft den Blick der Leser*innen und zeigt Wege, Alltagsdiskriminierung zu überwinden.

Dr. Emilia Zenzile Roig (*1983) ist Gründerin und Direktorin des Center for Intersectional Justice (CIJ) in Berlin. Sie promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Science Po Lyon. Emilia Roig lehrte in Deutschland, Frankreich und den USA Intersektionalität, Critical Race Theory und Postkoloniale Studien sowie Völkerrecht und Europarecht. Sie hält europaweit Keynotes und Vorträge zu den Themen Intersektionalität, Feminismus, Rassismus, Diskriminierung, Vielfalt und Inklusion und ist Autorin zahlreicher Publikationen auf Deutsch, Englisch und Französisch.