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2019-03-16 07:00:12, Jamal Tuschick

Die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland. Das erklärten Cana Mungan (Amnesty International Türkeigruppe Berlin), Donata Hasselmann (Refugee Law Clinic Berlin) und Muhammed Al Kashef (Alarmphone) gestern Abend im Deutschen Theater.

Die Konsequenzen des EU-Türkei-Abkommens

Die Außengrenzen der europäischen Union unterlagen Jahrzehnte keinen besonderen Feststellungen. An ihnen bewies sich die Freizügigkeit der Union zuerst. Erst in den 1990er Jahren geriet das europäische Grenzregime in die Kritik. Die Festung Europa entstand ohne einen Vorlauf architektonischer Experimente.

Der Raum ersetzt die Linie

Man wich ab von der Demarkationslinie und definierte den Grenzbegriff räumlich. Die Neuordnung gestattete eine tief gestaffelte Überwachung. Im nächsten Schritt fasste man die Schengen-Staaten als römischen Kern auf: im Verhältnis zu konzentrisch ihn einschließenden Pufferstaaten mit subventionierten Abwehrapparaten. Das System erhält den Bürgern der Union die Freizügigkeit im Geist einer Grenzpolitik ohne Kontrollen als europäische Errungenschaft.

Keinem kann ein Asylverfahren verweigert werden, der aus Not und Verfolgung kommend, Deutschland erreicht. Entscheidend für das Recht auf ein Verfahren ist ein Fuß auf deutschem Boden. Die Verlegung des Grenzschutzes an die europäischen Außengrenzen untergräbt zwar die Genfer Konventionen, verringert aber effektiv die Anzahl der Verfahren.

Der zweite Angelpunkt des europäischen Grenzregimes ist das sichere Herkunftsland. Reist jemand aus einem als sicher eingestuften Staat ein, hat sein Asylantrag wenig Aussicht auf Erfolg. Im Interesse der EU liegt es, den einschlägigen Sicherheitsstandard niedrig zu veranschlagen. Ein Beispiel für die Unterschreitungsbereitschaft ist das EU-Türkei-Abkommen von 2016.

Die gestern im Deutschen Theater (Berlin) präsentierte Dokumentation „Am Rande Europas“ zeigt Folgen einer Politik der konzentrischen Kreise. In dem Film von Omar Barkal, Donata Hasselmann und Sascha Kellermann schildern Geflüchtete eine Grenzregimepraxis mit institutionalisierter Menschenverachtung. Die Migration wird da gestoppt, wo Menschenrechtsverletzungen das geringste mediale Echo haben.

Zehntausende Geflüchtete sind auf griechischen Inseln in Lagern konzentriert. Sie haben ihr Leben riskiert und das Grauen gesehen, nur um im Dreck zu landen. Ihr Alltag ist katastrophal.

Der Flucht aus Syrien voraus ging stets ein Untergang aller Existenzmöglichkeiten. Die Überquerung der Grenze zur Türkei stellte sich als gefährliches, mitunter lebensgefährliches Unterfangen dar. Der Grenzschutz steht unter dem Druck, Erdogans Verhandlungsposition in Europa mit Abfangerfolgen zu stärken. Für geflüchtete Kurden endet die Kampfzone nicht an der syrischen Grenze.

Hat man es bis aufs Mittelmeer geschafft, wird die türkische Küstenwache zum Gegner.

Nach der Premiere äußerten sich Cana Mungan (Amnesty International Türkeigruppe Berlin), Donata Hasselmann (Refugee Law Clinic Berlin) und Muhammed Al Kashef (Alarmphone) auf dem Podium zur Lage in der Türkei. Einvernehmlich stellten die Referent*innen fest, dass an den Außengrenzen europäische Standards einer repressiven Praxis preisgegeben wurden.