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2025-12-10 11:11:59, Jamal

Nachtgesänge der Wale

Ich sah Farne hoch wie Häuser, Baumstämme so mächtig und imposant wie die Säulen in Kathedralen, Würgefeigen im Umarmungsfuror. Schmetterlinge so fragil, dass es kaum zu fassen war, dass sie real waren.

Endlich saßen wir an der Strandpromenade von Whitianga auf der neuseeländischen Coromandel-Halbinsel und aßen uns durch das Angebot im Oyster House, angefangen bei einem Rothirsch-Carpaccio, bestäubt mit geröstetem Horopito (einem Kraut aus der Māori-Küche) und mysteriös-violetten Blüten. Der Snapper kam mit einer warmen Mango-Kawakawa-Salsa. Du sahst mir zu, während ich das erste Stück probierte, als würdest du mehr Geschmack von meinem Gaumen als von deinem Gaumen ziehen.

Crayfish von einer fast absurden Zartheit serviert auf Spinat. Wir teilten uns einen Fruchtteller, garniert mit Limettenhonig. Du schobst mir ein Stück Mango in den Mund und gestattest dir ein Grinsen, das mich kichern ließ. Als der Wind auffrischte, legtest du mir deine Jacke um die Schultern und sagtest: „Ich wünschte, ich könnte das konservieren. Dich, den Abend, diesen Geschmack von allem.“
Ich hielt die Bemerkung für verdeckte Fürsorge. Auf keinen Fall wolltest du besorgt rüberkommen. Ich entgegnete leise:
„Hast du doch. Ich trag das alles jetzt schon in mir.“
Und so war es. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Aber das ist ein anderes Thema. Am selben Tag in einem Wald zu wandern, dessen Pflanzenlinien bis in die Zeit Gondwanas zurückreichen, und später mit Blick aufs Meer fürstlich zu tafeln, erfüllte mich mit einer Dankbarkeit, die sich dir gegenüber beinahe wie eine Schuld anfühlte. Damals hielt ich dich für den Zauberer in meinem Leben. Das war auch ein Versäumnis mir selbst gegenüber.  

Ich muss das anders erzählen. Ich hätte das alles auch allein oder mit einem weniger eindrucksvollen Begleiter haben können. Doch brauchte ich dich, um den Dingen eine magische Dimension zu geben. Dabei übersah ich, dass die Magie vielmehr in mir lag als in dir. Ich war die Zauberin und du nur ein Mann im Zenit seiner Möglichkeiten.

Unser Hotel lag nahe der Uferstraße an der Mercury Bay. Dramatische Glasfront, funktional-minimalistisches Design. Die Tagesdecke mit den maritimen Motiven auf dem King-Size-Bett. Ich registrierte einen Hauch Mango. Vielleicht war es ein künstlicher Geruch. Mein Shirt klebte am Rücken. Ich legte deine Hand auf meine Brust. Unsere Münder fanden sich. Dein Knie zwischen meinen Schenkeln. Du zogst mir das Shirt über den Kopf … deine eigenwillige Melange aus Zärtlichkeit, Ironie und einer fast schon unverschämten Sinnlichkeit, die jede romantische Szene in Sekundenschnelle in etwas Körperliches verwandelte - stets so, als zwinkerte die Natur mir persönlich zu.