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2024-04-10 16:31:09, Jamal

"obwohl ich in meinem leben immer wieder mal etwas bis an die grenze des vertretbaren getrieben habe, gelingt es mir doch nicht, wenn ich auch in den dunkelsten ecken meines selbst wühle, einen funken von reue zu entdecken." Flaco

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English Version

In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick

Die Ehre der Marquise

Kleists Erzählmanier gleicht einem einzigen Theateralarm. Die Akteure treten pompös auf. Für ihre dramatische Performance haben sie gewichtige Gründe. Alles dreht sich um die Ehre. Erst um die Ehre der Marquise, dann um die Ehre des Grafen, und dann wieder um die Ehre der Marquise.

Erinnern Sie sich. Der russische Rittmeister, der so unverständlich vehement um Juliettas Hand angehalten hat, war mit allen Vorzeichen der Eile aufgebrochen. Doch anstatt in seine Kalesche zu steigen, macht er es sich im Dienstbotentrakt gemütlich. Da stöbert ihn ein verstörter Hausherr auf.

Oder so:

Der Held ist noch im Haus. Von dieser Merkwürdigkeit in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig düpiert, stellt der Hausherr seinen Gast im Dienstbotenabteil. Da fragt ihn „der Graf F... (unumwunden), ob er ihm gefälligst sein Zimmer anweisen lassen wolle?“ Ein Überrumpelter sieht sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Auf Englisch klingt das noch schöner: A person taken by surprise finds himself faced with a fait accompli.

„Der verwirrte Obrist“ ruft Leute aus der Bediensteten-Sphäre, dass sie des Grafen Gepäck aufnehmen, und führt ihn dann selbst in die „für fremden Besuch bestimmten Gemächer“. Da empfiehlt er sich „mit einem trocknen Gesicht“.

Umgehend entledigt sich der eigenmächtige Gast seiner Reisegarderobe. Er legt seine Galauniform an und rauscht ab zum Gouverneur, wo er den Rest des hellen Tages verbringt. Sein Gebaren versetzt Juliettas Familie in „Unruhe“. Der Forstmeister schildert sich als Zeuge eines Coups. Nach seinen Beobachtungen sind die sozialen Manöver des Grafen vorbedacht, eben so wie bei einem in die Tat umgesetzten Plan.

Den Kommandanten verdrießt die Sache so sehr, dass er seinen Angehörigen verbietet, sich weiter dazu einzulassen. Die Marquise unterstellt sich dem Schweigeregiment zum Schein. Immer wieder wagt sie Vorstöße ins Offene eines Disputs.  

„Endlich gegen die Nacht (erscheint) der Graf.“

Im Himmel der Lebenden

Die geplagte Familie kesselt ihn ein und bestürmt ihn „mit vereinter Kraft“. Er soll Abstand nehmen von seinen Absichten und dem vorgeblich Unumstößlichen den Charakter einer flexiblen Sache geben. Bei alldem Budenzauber fehlt eine Darstellungsdimension.

Wie fällt des Grafen Blick auf die Angebetete?

Wählte Julietta für den Abend ein Kleid, das sie an frohe Tage erinnert? Trägt sie vielleicht jahrein, jahraus Witwenschwarz, um niemanden das Recht einzuräumen, ihre Ehrbarkeit anzuzweifeln? 

Kleist sagt nichts dazu.

Der Graf schwadroniert vom Krieg und von der Jagd. Er schmückt sein Nahtod-Erlebnis aus. Er erzählt vom Delirium eines schier tödlichen Getroffenen; der schließlich von den Toten wunderbar in den Himmel der Lebenden aufstieg. Er memoriert Details von einer großen Schau: von der „Hitze des Wundfiebers“ ihm vorgegaukelt. Er sah sich zurückversetzt in seine Kindheit. Auf dem väterlichen Gut spielte er mit einem Schwan.

Spielt Kleist an dieser Stelle wieder auf das Leda-und-der-Schwan-Motiv an? Der russische Rittmeister als übergriffiger Zeus?

Nun verfügt sich der Gast in die Gästekammer. Die Obristin verrät gleich ihren Standpunkt, indem sie die Vorzüge des Freiers kupplerisch herausstreicht. Sie rühmt einen „jungen Mann (mit) … außerordentlichen Eigenschaften“. Ihre Tochter nötigt die Eloge in die Verlegenheit, da sie Farbe bekennen soll.

Wie würdest du dich entscheiden, wenn alle Erkundigungen den günstigen Eindruck bekräftigten? Die Marquise verspricht, sie in diesem Fall widerstandslos noch einmal zu vermählen.

Morgen mehr.