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2024-03-01 12:04:55, Jamal

„Wir versuchten, bescheiden zu bleiben, aber wir waren Heldinnen.“ Vendela Vida

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© Jamal Tuschick

Komatöses Nickerchen

Betty räuspert sich furios in ihrem futuristischen Fernsehsessel. Somnambul verschiebt sie die Brille auf dem Nasenrücken. Die Fernbedienung entgleitet der Sitzfläche und landet auf dem Teppich. Bettys Kopf sinkt unbequem auf einen Sesselwulst. Kenos Oma wird gleich mit einem steifen Nacken aus ihrem komatösen Nickerchen erwachen.

Im Fernseher dröhnt, viel zu laut für ein gesundes Gehör, Eduard ‚XY‘ Zimmermann. So vertrauenswürdig wie Ganoven-Ede erscheinen Betty nur noch der Vorsitzende des Internationalen Frühschoppens Werner Höfer und Nachrichtensprecher Karl-Heinz Köpke. 

Keno hält einen Lieblingsplatz besetzt. Als Sohn der prekären, für Familienaufgaben und Vermögensbildung ungeeigneten Tochter Doris, bewacht er das ihm im Haus der Großeltern zugestandene Territorium mit nie nachlassender Aufmerksamkeit. Während die Mutter in einem ausgebauten Provisorium über dem Stall gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Raimund im eigenen Saft schmort, verteidigt Keno seine Spitzenposition am Ende der Nahrungskette im dynastischen Zentrum.

Keno vergöttert seinen Großvater Anton. Mit militanter Ergebenheit bewahrt er sich die Thronfolgerrolle. Er sitzt am kolonial-antiken Manor House-Sekretär des Patriarchen - einem Schauplatz schierer Repräsentation. Als Legastheniker, der nur fünf Jahre zur Schule ging, gehören bürgerliche Schreibtisch-Basics zu Antons verschleierten Schwachpunkten.

Schwäbische Reifeprüfung

Kenos Blick streift eine solarisierte Bewegungsstudie am Kamin. Der Akt zeigt seine Tante Veronika als Neunzehnjährige. Die sieben im Geist sportlicher Natürlichkeit mit einem Mix aus rhythmischer Sportgymnastik, Eurythmie, Schwimmen, Reiten, Tischtennis, Skifahren und Wandern erzogenen Schwestern heißen nach ihren Tanten und Großtanten. Seit Veronika, die sportlichste Steinbrecher-Schwester, Keno zu ihrem Liebhaber gemacht hat, und mit ihm die „Reifeprüfung“ auf Schwäbisch nachspielt, sieht der Vierzehnjährige die Frauen in seiner Familie mit anderen Augen.

„Die Reifeprüfung … erzählt, wie (ein) College-Absolvent … nacheinander zwei verbotene Beziehungen eingeht: zunächst die zu einer verheirateten Frau, dann die zu ihrer Tochter.“ Quelle