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2024-01-23 11:19:27, Jamal

Die vier Ausländerinnen arbeiten verbissen wie in einem Tunnel, in dem jede allein ist. Ihnen gegenüber vereist Honoka Yukishiro Sensei im Schneemantel der Unpersönlichkeit.

Der Himmel über dem Bodden am 12.10. 2021 © Jamal Tuschick

Lieblose Fürsorge

Honoka Yukishiro Sensei unterrichtet in einem Wolkentheater. Um ihr Dōjō zu erreichen, muss man sich von einem Hubschrauber abseilen. Die Meisterin erscheint dem geblendeten Auditorium wie eine melancholisch in die Jahre gekommene Prinzessin. Alles ist Fluidum, Sendung, Zen - archaisch und aristokratisch. Die Unzulänglichkeit ihrer Schülerinnen verwandelt Honoka Yukishiro Sensei in Karate und Naturverbundenheit. Die Novizinnen vermählen sich mit der Leere. Sie geraten in einen guten Stoffwechselkreislauf.

Allen Finten der Anpassung zum Trotz manifestiert sich Kanon Takeshis Andersartigkeit*. Zur Nonnengemeinschaft zählt sie nur nominell. Fällt eine antike Tasse der Unachtsamkeit zum Opfer oder zieht ein Ofen nicht richtig, heißt es hinter vorgehaltener Hand, Schuld daran trüge allein Kanon Takeshi. Politiker und Geschäftsleute, die vor Ort das Japanische in seiner ursprünglichsten Form suchen, spielen in Kanon Takeshis Gegenwart auf jugun ianfu an, auf die koreanischen Trostfrauen der kaiserlichen Militärmaschinerie. Das korrumpiert Kanon Takeshi. Sie begreift den geistigen Überbau und die Charakterschule nicht mehr als das Wesentliche des Unterrichts und nickt die Erklärungen nur noch ab. Ein Jucken plagt sie plötzlich. Honoka Yukishiro Sensei gibt ihr ein Pulver und das Jucken hört auf. Krankheiten nisten sich bei Kanon Takeshi ein. Als gute Äbtissin kuriert Honoka Yukishiro Sensei die Krankheiten, wenn auch in liebloser Fürsorge.  

“Walk the simple path, becoming neither cocky with victory nor broken with defeat, without forgetting caution when all is quiet or becoming frightened when danger threatens.” Kanō Jigorō

Honoka Yukishiro Sensei drillt ihre Schülerinnen im Alpin-Modus. Die Adorantinnen spannen sich abwechselnd in Geschirre, eine bremst, die andere zieht hangaufwärts. Nach zehn Minuten sind alle zum ersten Mal platt. Dann werden Hände und Füße an Bäumen abgehärtet. Die Japanerinnen schlagen und treten unverdrossen. Die vier Ausländerinnen arbeiten verbissen wie in einem Tunnel, in dem jede allein ist. Ihnen gegenüber vereist Honoka Yukishiro Sensei im Schneemantel der Unpersönlichkeit. Kanon Takeshi bemüht sich um einen entschlossenen Eindruck, fühlt sich aber zum Heulen fehl am Platz. Sie vermisst den Spirit und die Magie ihrer koreanischen Meisterin.

*Die katholische Koreanerin lebt mit der Legende einer buddhistischen Angehörigen der koreanischen, massiv diskriminierten Minderheit in Japan.