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2024-01-05 13:08:05, Jamal

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Zuckungen und Stillstände

„Die Worte mit der Wurzel ausgraben: das ist Literatur.“ Kurt Tucholsky

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„Die Leblosigkeit der Straßen fiel mir erst auf, als ich nur die Seiteneingänge des Palais royal offen, Kaffeehäuser und Läden aber verschlossen fand.“ Konrad Engelbert Oelsner 1792 in Paris

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„Es gibt ein Heer kaum bemerkbarer Stöße, Zuckungen und Stillstände, welche der Blick des Beobachters aufgreifen, aber kein Symbol bezeichnen kann.“ Konrad Engelbert Oelsner in einem Brief vom 20. April 1792 zur Lage im revolutionären Paris

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„Das Gedränge war unausstehlich. Aus der Mitte der Eindringlinge begrüßten den König … die gröbsten Injurien. Er wurde Hahnrei … Schwein … genannt. Unterdessen machte Seine Majestät eitle Versuche zu reden.“ Konrad Engelbert Oelsner über die Ereignisse rund um den 20. Juni 1792, als bewaffnete Sansculotten in die Tuilerien eindrangen, wo Ludwig XVI. und Königin Marie Antoinette in ihrem Palast das Dasein von Festgesetzten fristeten, die den revolutionären Furor artig begrüßen mussten. Der degradierte König sagte zu allem Ja und Amen, was ihm am Leben zu bleiben versprach. Der vormals absolutistische Herrscher figurierte als Hampelmann mit Krone. Oelsner sah ihn gute Miene machen zum bösen Spiel der Stürmer:innen und Dränger:innen.

„Der ehemalige Gebieter vieler Millionen Menschen, die mehr taugten als er … saß da - Sie kennen die bourbonische Ungestalt - mit einer erzwungenen heiteren Miene, wie Pulcinello, wenn er trotz einer heftigen Kolik im Fastnachtspiele lustig sein muss … Es bedurfte eines Wahnsinnigen, um die Farce in ein Trauerspiel zu verwandeln.“ Konrad Engelbert Oelsner

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„Die Totenstille, die dem Orkan des Tages folgte, das Geflüster an den Türen … die erleuchtete Nacht, das einsame Rollen einiger Fiaker, die vielleicht Proskribierte führten, alles lud nicht zum Schlafe, aber zu ernsthaften Betrachtungen ein.“ Konrad Engelbert Oelsner in Paris am 14. August 1792

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„Der Gouverneur hat nur um der Etikette willen auf sich schießen lassen und die Festung (gleich) übergeben.“ Konrad Engelbert Oelsner in einem Brief vom 28. August 1792.

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„Wäre es in der unglückseligen Bestimmung der Menschheit, keinen kühnen Schritt nach Verbesserung zu tun, ohne sich mit Gräueln zu beladen?“ Konrad Engelbert Oelsner am 7. September 1792

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„Während sich Grouville (als ‚Sekretär des exekutiven Rats‘) … (zerknirscht) seines Auftrags entledigte, hörte ihm der (zum Bürger degradierte) König mit der strengen Gelassenheit eines Mannes (an), der seinen Entschluss gefasst ...“ So überliefert Konrad Engelbert Oelsner die intime Verkündigung des an Ludwig XVI. zu vollstreckenden Todesurteils in einem Brief vom 22. Januar 1793. Der Delinquent war einen Tag zuvor öffentlich hingerichtet worden.

Über Grouville ließ sich auf die Schnelle nichts in Erfahrung bringen.  

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„Wir belagerten einen Feind, der sich ausruhen und den Bauch vollschlagen konnte, während wir vorgaben, ihn auszuhungern.“ John Williams, „Augustus“

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„Es ist eine böse Sache, wenn ein Knabe seinen Lehrern sowohl an Wissen als an Urteilsfähigkeit überlegen ist - und besonders schlimm ist es, wenn er selber das weiß.“ Thomas De Quincey, „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“  

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„Welches Bild bietet Frankreich in den Wintermonaten des Jahres 1787. Sogar im Oeil de Boeuf* herrscht Schwermut und ein Gefühl der Unsicherheit, und die armen Unterdrückten dort meinen alle, man könnte selbst in der Türkei schöner leben.“ Thomas Carlyle, „Die Französische Revolution“ 

*Oeil-de-bœuf bezeichnete einen Salon in Versailles 

Im Mai 2023 im Schloss von Caputh © Jamal Tuschick

Zwei Ansichten

Gleich nach der französischen Revolution entdeckte man, dass Ansichten, die vorher den herausragenden, bei Hof zugelassenen Denker gemacht hatten, rasend volkstümlich geworden waren. Die Revolution habe den menschlichen Geist beschleunigt, meldet Karl August Varnhagen von Ense dem Freund Karl Georg Jacob. Konrad Engelbert Oelsner reichte der Skepsis seine Feder: „Man treibt bei jedem Wetter Ideenkommerz, bläst sich auf und hat leichtes Spiel. Jeder Unfug vervielfältigt sich wie ein Blitz im Spiegelsaal.

1.

Im August 1793 fällt Toulon von der Revolution ab und übergibt sich royalen Kräften. Eine britisch-spanische Allianz zieht vor der Hafenstadt Schiffe zusammen, sie prahlt mit neuntausend Kanonen. Die Bedränger des republikanischen Frankreichs setzen sich mit achtzehntausend Mann hinter respektablen Mauern fest. Sie besetzen Toulon unter dem Lilienbanner als Restaurationszentrale im Namen von Ludwig XVII., der als kleiner Prinz (nach dem gewaltsamen Tod der Eltern) auf sich gestellt und bis zur Verwahrlosung vernachlässigt seinem Ende in einem Kerker entgegen leidet. Verstärkt werden sie von monarchistisch gestimmten Flüchtlingen aus Lyon und Marseille. Das sind Überlebende gescheiterter Lossagungen und revolutionärer Blutfeste. Viel erwarten sie von dem wenig glänzenden Oberkommandierenden des britischen Mittelmeergeschwaders Samuel Hood. Der Admiral nutzt die Gunst der Stunde. Mehr nicht. Verzweifelte öffneten ihm den Hafen. In der Stadt bestimmen die Herren Baltasar Gracián y Morales und Henry Phipps, 1. Earl of Mulgrave über englische, spanische, französische, neapolitanische und sardische Konterrevolutionäre. Ihnen gegenüber versagt General Jean-François Carteaux, im Brotberuf Schlachtenmaler, als republikanischer Belagerer. Unter dem nachfolgenden Jacques François Dugommier dient ein im Grunde miserabler Kerl. Schon Bonaparte Senior fiel als Supplikant und Urkundenfälscher auf. Napoléon schickte er nach Brienne auf die Soldatenschule. Da ging dieser Sohn als sein jüngerer Bruder durch, er wäre sonst zu alt für die Aufnahme gewesen. Napoléon zeigte viel Trotz, wenig Gemeinschaftssinn und kaum Begabung. Der Kameradschaftserziehung widerstand er mit Händen und Füßen.

Als Kaiser der Franzosen wird Napoléon Frauen an seinem Hof mit Garnisonsmanieren in Verlegenheit bringen. Er fängt bald an, nach dem Vorbild seines alten Herren, Papiere bis hin zum heiligen Etat de service dem persönlichen Schlendrian anzupassen. Er befördert sich zum Lieutenant-Colonel und erdichtet zu seiner Zierde eine Verwundung.

Napoléon redet gut und schreibt schlecht. Vor der Revolution schleppt er sich immer wieder durch Engpässe der Arbeitslosigkeit. Es braucht eine neue Zeit, um ihn hochzubringen. Die Revolution sieht ihn im Zwiespalt zwischen separatistischen und jakobinischen Neigungen. Er sucht seinen Vorteil, jederzeit zum Handstreich aufgelegt. Er wird abgesetzt, degradiert und eingesperrt. Er erhebt sich zum Bataillonskommandeur, einen Konkurrenten lässt er verschleppen. Die Prügel besorgt Napoléon dem Rivalen selbst.

Napoléon führt ein schrankenloses Leben, bis man ihn nach Toulon ruft, wo er einen Général de brigade in unzulänglicher Garderobe aus sich macht, übrigens mit der kompletten Bagage, einschließlich Maman, Joséphine de Beauharnais und dem Vicomte de Barras als Entourage. Joséphines Mann diente der Revolution als Opfer. Die schöne Witwe, Gutsherrentochter aus Martinique, legte sich zum Mörder ihres Gatten. Inzwischen hat Politkommissar Barras sie seinem Protegé ans Herz gelegt. Napoléon streitet neben dem soliden Pichegru, einem zum Priesteramt befähigten Mathematiklehrer, und dem schneidigen Parvenu Masséna aka Fürst Essling. Pichegru wird sich von Napoléon noch zum Tyrannenmord aufgestachelt fühlen und doch nicht zum Zug kommen.

Sur la ligne de feu übertrifft Napoléon alle an vorausschauender Kaltblütigkeit. Die Republikaner gehen nach seinem Plan vor. Im ersten Schritt beunruhigt das Belagerungskorps mit wenigen Kanonen die alliierte Flotte. Hood lässt zur Beruhigung der Lage eine Stellung am Ufer einnehmen - Fort Mulgrave. Er rüstet die Befestigung mit schweren Geschützen und vertraut auf eine Besatzung von achthundert Mann. Von da an versucht die Allianz republikanische Belästigungen auf vorgeschobenen Posten zu unterbinden. In der Folge ergibt sich ein Auf und Ab im Kleinklein, dass die Vorteile der Royalisten pulverisiert. Napoléon tranchiert Verbindungslinien im Partisanenstil. Hit & Run. Anstatt einen Sturm abzuwarten, um ihn dann abzuweisen, kommen die Royalisten vor die Tore (und an Land) und liefern sich Scharmützel mit der Revolutionsarmee. Die Republikaner übernehmen (die zur Bekämpfung einer Seestreitmacht eingerichteten) Redouten und Forts vor Toulon und traktieren die alliierte Flotte. Sie zwingen die königliche Marine zur Entblößung der Stadt. Am 19. Dezember gibt Hood Toulon preis und zieht sich auf See zurück.

Man verwendet Napoléon weiter in Paris, er dient auf dem Topografischen Amt. Morgen mehr.