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2023-12-17 12:52:47, Jamal

Widerstand mit Pensionsberechtigung

„Man will im Widerstand sein und zugleich Beamter werden.“ Jürgen Kaube in einem „Kommentar zur Lage der Universitäten: Respekt!“, erschienen in der FAZ, Quelle

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„Man darf aber darauf hinweisen, dass Raffinement in der ganzen Kunstgeschichte eine Eigenschaft der barbarischen und nicht der entwickelten Verhältnisse ist.“ Paul Adler

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„Er schreibt nicht um des Ruhmes mehr, nicht um des Geldes willen, sondern einzig um der geheimnisvollen Lust, durch Vergeistigung des Lebens zu lernen und durch Lernen wieder stärker zu leben, Wissen einzuatmen und Wissen auszuatmen.“ Stefan Zweig über Erasmus von Rotterdam in der letzten Phase eines Gelehrtenlebens   

Plebejischer Erzwingungswille

Vom „Furor teutonicus“ aufgereizt, fiebert der „geborene Raufbold“ Luther dem Kampf gegen seine zahlreichen Widersacher entgegen. „Auf dem Kampfplatz wird der hochgebildete Doctor theologiae sofort zum Landsknecht.“

Stefan Zweig diagnostiziert „rasenden Grobianismus“ und das Wesen eines Berserkers. Er erkennt „Besessenheit“ und blinde Rücksichtslosigkeit beim Reformator.

„Um des Besseren und der Kirche willen muss man auch eine gute, starke Lüge nicht scheuen.“ 

Von Ritterlichkeit weiß Luther nichts. Über den Tod eines Gegners hinaus hadert er mit dem Ausgeschiedenen. Eine „gerechte Nachrede“ ist von ihm nicht zu erwarten.

Im Gegensatz zu Luther tritt Erasmus als „Kulturaristokrat“ auf. Den Konzilianten stößt der plebejische Erzwingungswille ab, mit dem Luther Furore macht.

„Aber niemals wird er Luthers Lust begreifen, einen Feind zu zertrampeln und zu zerstampfen, nie in einem seiner zahlreichen Federkriege die Höflichkeit außer Acht lassen und dem ‚mörderischen‘ Hass sich hingeben, mit dem Luther seine Gegner angreift.“  

Um 1980 © Jamal Tuschick

Gichtiger Trossknecht

Als der normannische Ritter Verlaine, genannt Longue Èpée - Langschwert, in Peru 1538 die Sache des Verlierers Diego de Almagro vertritt, kennt außer ihm kein Europäer die Gepflogenheiten der Bushi (Samurai). Die Wikinger erreichten amerikanische Gestade lange vor Kolumbus; Verlaine strandete bloß ein Vierteljahrhundert vor den ersten altweltlichen „Entdeckern“ auf der japanischen Insel Tanegashima nahe Kagoshima. Die Geschichtsschreibung datiert den offiziellen Erstkontakt zwischen Japaner:innen und Europäer:innen auf das Jahr 1543. Sechs Jahre später begann die Missionierung Japans in der Regie des Jesuiten Francisco de Xavier y Jassu.

Verlaine lernte Japan zurzeit des Ashikaga-Shōgunates in der Muromachi-Ära kennen. Ashikaga Yoshizumi war der elfte Shōgun seiner Dynastie. Der Schiffsbrüchige, ein Jugendlicher noch, zeigte sich einem geringeren Fürsten gegenüber einsichtig und geschickt. Er adaptierte einen federnden Kampfstil im Geist des Bushido. In Amerika erscheint Verlaine als sagenhafter Schwertkämpfer. Der Virtuose bemerkt den ungezügelten Geltungsdrang des Vize-Statthalters von Neukastilien. Almagro fehlt jene Selbstbeherrschung, die man in Japan als größte Tugend erachtet. Verächtlich findet Verlaine den Mangel.

Die Gobernación de Nueva Castilla untersteht Francisco Pizarro González. Der furchtbare Knopf vertritt die spanische Krone in der Neuen Welt an erster Stelle.

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An einem sonnigen Sonntagmorgen. Ein gichtiger Trossknecht genießt sein Fußbad im Wärterbereich der Palastverließe. In einer Zelle dösen Gonzalo und Hernando Pizarro, die von Almargo festgesetzt wurden. Die Brüder des Vizekönigs von Neukastilien rechnen mit ihrer zügigen Befreiung.   

Almagro steht in Feldherrenpose am Panoramafenster seines Salons, der runde Tisch verwaist in seinem Rücken, und schwelgt in der Illusion, seine Verhandlungsposition nicht bis in einen Abgrund geschwächt zu haben. Er verlangt die Kapitale Cuzco als persönliche Residenzstadt. Pizarros noblem Laufburschen unterbreitet er das großzügige Angebot: „Verzieh Er sich nach Lima, dann schick ich Ihm die Brüder nach.“

Des Vizekönigs Emissär lässt seine Achseln zucken. Verlaine ist sofort klar, was die Stunde geschlagen hat.

„Auf der Stelle verließ ich den Palast“, schreibt er in seinen Erinnerungen Der Kampf um Nueva Toledo. „Mir war bewusst, dass mein Herr nicht mehr lange am Leben bleiben würde.“

Ohne zu zaudern, wechselt Verlaine die Seite. In Pizarros Heerhaufen empfängt man den Neuzugang herzlich. Verlaine spornt sein Pferd auf dem Weg zur Entscheidungsschlacht bei Las Salinas. Die Auseinandersetzung datiert auf den 26. April 1538 und endet mit Almagros Niederlage.

Verlaine schreibt: „Die Rache der Pizarro-Brüder forderte das Blut des Losers.“

An anderer Stelle: „Stolz und Ehrgeiz waren Almargos Fehler gewesen.“

Selbstverständlich verstärkt Verlaine die Leibgarde des Siegers. Pizarro stößt Almagros Testament um. Selbstherrlich setzt er die kastilische Krone als Alleinerbin ein, um unter der Hand Almargos Besitz einzustreichen und aufzuteilen unter den Komplizen.

Verlaine fährt gut mit seinem Verrat. Er feiert auf der langen Bank im „Roten Ochsen“, sitzend zwischen dem einäugigen Francisco de Orellana und Gonzalo Pizarro, einem von Pizarros Halbbrüdern. Alle bewundern die Schwertkunst des Normannen. Verlaines japanische Erzählungen sind unglaublich. Jeder liebt ihn - den Verräter. Keiner denkt, was jeder denken sollte.

Mit Hohn und Häme rückt man gegen Almagros Anhänger:innen vor. Man vertreibt sie aus ihren Häusern, erniedrigt die Töchter. Der Vizekönig immer vorneweg. Völlig enthemmt.

„Das machte sein Maß voll“, schreibt Verlaine ungerührt.

An einem Sonntag im Juni 1541 stürmen die Gedemütigten Pizarros Palast. Zwei Bodyguards gehen seelenruhig mit in den Tod des Herrschers. Doch wo steckt Verlaine? Während Pizarro stirbt, flutscht der Sauhund um die nächste historische Ecke.

Verlaines Spur verliert sich nicht. Er ist dabei, als Spanier unter der Führung von Orellana zum ersten Mal den Amazonas befahren. Der Fluss hat seinen Namen von den Amazonen. Die europäischen Stromer geraten an Kriegerinnen, denen unbedeutende Männer folgen.

„Sie imprägnieren ihre Klingen und Spitzen mit Gift“, schreibt Orellana in seinem Tagebuch. „Das Gift gewinnen sie von Fröschen.“

Orellana steht in der Gunst des neuen Statthalters. Cristóbal Vaca de Castro ist vielmehr Beamter als Eroberer. Er wird in Spanien sterben, das sagt alles. Kein Pizarro schafft es vor dem unnatürlichen Tod bis in die alte Heimat. Dazu morgen mehr.