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2023-10-28 13:19:14, Jamal

„Dokumente der Niedertracht“

„Am 7. Oktober 2023 wurden im Süden Israels von den Horden der Hamas unsägliche Grausamkeiten begangen. Die Pietät verbietet es, sich ein Bild davon zu machen … Die Grausamkeiten wurden gefilmt, gestreamt, verbreitet, die Hölle auf Erden für alle zugänglich.“ Natan Sznaider am 24. Oktober 2023 in der „Süddeutschen Zeitung“, Quelle

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„Liege ich falsch, wenn ich eine gewisse Kälte fühle, mit der man in Deutschland auf das Massaker der Hamas in Israel reagiert?“ Axel Hacke in der Süddeutschen Zeitung am 26.10. 2023, Quelle

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„Hieß es in den ersten Tagen: „Ja, ich bin entsetzt und solidarisch“, heißt es nun immer öfter: „Ja, aber …“ Viel zu schnell kommt dieses Aber. Der Zivilisationsbruch, der stattgefunden hat, die barbarische Gewalt, die wir erleben mussten, ist ein Massaker, in dem Empathie und Menschlichkeit keinen Platz hatten. Kann man nicht ein paar Wochen einfach nur trauern … und sich auf die Seite der Opfer stellen?“ Michel Friedman im Gespräch mit Cornelia Geißler, Berliner Zeitung vom 26.10. 2023, Quelle

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„Die schleichende Institutionalisierung des Israelhasses wird dieser Tage deutlich ... Es war unüberhörbar. Der Kunstbetrieb hüllte sich nach den Hamas-Massakern an israelischen Zivilisten zunächst in Schweigen ... Mittlerweile aber hat der Kunstbetrieb seine Stimme wiedergefunden: Seit Tagen sorgt ein auf der Website des Kunstmagazins Artforum publizierter, von über 1000 internationalen Künstlern unterzeichneter offener Brief für Aufsehen. Sie bekunden ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk, unterstützen dessen Befreiung, sprechen tatsachenwidrig vom besetzten Gazastreifen und werfen Israel eine genozidale Politik vor. Vor allem aber schaffen es die Autoren, die Hamas mit keinem einzigen Wort zu erwähnen!“ Eugen El in der „Jüdischen Allgemeine“ vom 22.10. 2023, Quelle

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„Auf der offiziellen politischen Bühne erleben die Juden und der Staat Israel seit dem Hamas-Massaker alle Solidarität, die sie sich wünschen können. Aber im progressiven Teil der sogenannten Zivilgesellschaft, in Kulturinstitutionen, in den Geisteswissenschaften, in NGOs schweigen viele, die sonst alle erdenklichen Formen von Gewalt und Mikroaggressionen anprangern.“ Jochen Buchsteiner am 22.10. 2023 in der FAZ, Quelle

Lügen und Totalfiktionen

„Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, dass es einen Ersatz für die Wahrheit nicht gibt. Denn das Resultat ist keineswegs, dass die Lüge nun als wahr akzeptiert und die Wahrheit als Lüge diffamiert wird, sondern dass der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.“ Hannah Arendt

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Grelle Analyse

„Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals.“ Bertolt Brecht

„Nicht Maß und Mitte konnten nach (Hannah Arendts) Auffassung, die Maßstäbe zur Beurteilung der Lage sein, sondern die grelle, zugleich faktenbasierte Analyse.“ So urteilt Thomas Meyer über die Publizistin in der Frühzeit ihres amerikanischen Exils. Ab 1941 äußert sich Arendt als Kolumnistin zwei Mal pro Monat unter der Überschrift This means You „schonungslos“ zu den großen Themen. Die Meinungsbeiträge erscheinen in dem wöchentlich kursierenden Periodikum Aufbau. Sie oszillieren zwischen drei Polen: den Ansichten der Autorin zu jenen Entwicklungen, die zur Gründung Israels führen, ihre Deutungen von Migration und Menschenrechten, und ihre Sicht auf den Faschismus.

Paradoxe Reaktion

Bruno Latour beschreibt den Faschismus der 1920er und 1930er Jahre als ein Amalgam von Traum und Technik. Die Programmmacher verbanden „die Rückkehr zu einer verdichteten Vergangenheit mit revolutionären Idealen und der industriellen Modernisierung“. Sie strebten eine Versöhnung von Mythen und Moderne an. Der Mummenschanz fiel auf fruchtbaren Boden. Adorno erklärt 1967 die Virulenz des Faschismus mit einer paradoxen Reaktion. Deklassierte und von Deklassierung bedrohte Schichten mit einem bürgerlichen Selbstverständnis verweigern die Ablehnung jener kapitalistischen Kräfte, die sie bedrohen. Stattdessen suchen sie da ihre Feinde, wo ein Widerstand gegen den Kapitalismus Gestalt annimmt.

Thomas Meyer, „Hannah Arendt“, Biografie, Piper, 517 Seiten, 28,-

Zwar ermüdete der verlorene Krieg „die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus“, doch hob er sie nicht aus den Angeln. Adorno analysiert den gleichermaßen neuen und alten Rechtsradikalismus vor dem Hintergrund monumental erstarrter Blöcke. Den Nationalismus der in den Blöcken eingeschlossenen Staaten rückt er in die Nähe von „Fiktionen“ angesichts „der untergeordneten Rolle“ einzelner Nationen. Doch gerade in dieser Inferiorität entfalte sich das ideologische Inferno sowie die dämonischen Dimensionen des Nationalismus.

Besonders hervor hebt Adorno „den unbewussten Wunsch nach der Katastrophe“ als einem Vereinigungsphantasma. Die/der Deklassierte scheitert gemeinsam mit der Welt. Alle gehen mit ihr/ihm unter. Bis dahin sucht sie/er völkische Einigkeit. Der politische Kompromiss erscheint ihr/ihm als „Verfallsnorm“.

„Der Antisemitismus hat die Juden überlebt.“

Adorno bezeichnet den Antisemitismus als „Planke in der Plattform“ des Nachkriegsrechtsradikalismus. Ihrem Mann schreibt Arendt 1949 aus Deutschland:

„Weißt Du eigentlich, wie recht Du hattest, nie wieder zurückzuwollen?“

Arendt deprimieren die rasanten Restitutionen zum Vorteil der nationalsozialistischen Funktionselite. Es werde im großen Stil investiert, schreibt sie. „Entnazifizierte SS-Führer“ kämen mit viel Geld in das Casino der neuen Zeit. Raubgoldgerüchte kursieren. Investigationen in diese Richtung hält Arendt für lebensgefährlich. Morgen mehr.

Aus der Ankündigung

Hannah Arendt - Die große Denkerin und ihr Werk - auf Basis neuer Quellen

„Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist. Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nach – denken.“ Für Thomas Meyer bilden diese Sätze den Leitfaden seiner Biografie Hannah Arendts. Ihm folgt Meyer, wenn er anhand neuer Quellen ihr Leben und Werk von Königsberg nach New York, von der Dissertation über Augustin bis hin zum unvollendeten Opus magnum „Vom Leben des Geistes“ nachzeichnet und deutet. Seine Biografie beleuchtet die Faszination und die Kritik, die ihre Person und ihre Schriften zeitlebens auslösten, und macht dabei sowohl für Interessierte wie für Kenner das Phänomen „Hannah Arendt“ verständlicher.

Der hier gewählte Zugang unterscheidet sich radikal von der bisherigen Forschung. Erstmals werden bislang völlig unbekanntes Archivmaterial und andere zuvor ignorierte Dokumente herangezogen, um Arendt in ihrer Zeit dazustellen. Dabei konzentriert sich die Biografie auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerkes „Origins of Totalitarianism“ 1951, auf Deutsch 1955 unter dem Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ erschienen. 
Daraus ergeben sich neue Perspektiven auf Arendts revolutionäres Denken. Thomas Meyers Biografie ist der Ausgangspunkt für eine notwendige Neubewertung von Arendts Leben und Werk.

Zum Autor

Thomas Meyer wurde an der LMU München promoviert und habilitierte sich auch dort. Nach zahlreichen Stationen im In- und Ausland lehrt Meyer Philosophie in München. Schwerpunkt seiner Forschungen und Publikationen bildet das 20. Jahrhundert. Er hat mehrere Schriften Hannah Arendts ediert, darunter „Wir Flüchtlinge“ (2015) und „Die Freiheit, frei zu sein“ (2018).