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2023-06-19 11:27:56, Jamal

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Ligurien in den 1990er Jahren © Jamal Tuschick

Vorgetäuschte Republikflucht - Was zuvor geschah

Angst vorm Fliegen erschien Mitte der 1970er Jahre auf Deutsch. Zehn Jahre später löst Erica Jongs Millionensellerdebüt in der aus Ahrenshoop gebürtigen, in Mühlheim am Main gestrandeten, vorgeblich republikflüchtigen Zootechnikerin Elke Čarnica ähnliche Empfindungen aus wie Geschichten in Westillustrierten über Reiche auf Sylt, Marianne Bachmeiers Rache, die New Yorker Mafia und Uschi Obermaiers breit diskutierte Liebe zu Dieter Bockhorn.

In der südhessischen Idylle angelt sich die Kundschafterin des Friedens den von Grund auf harmlosen, bodenständig-soliden Einar Ehrentraut. Der dreißigjährige Einzelhandelskauf ist bei seinen Eltern nie ausgezogen. Mit „frauenspezifischen Methoden“ treibt Elke Einar in die Hörigkeit. Sie haut seine Steifftiermenagerie in die Tonne. Elke bemächtigt sich Einars Plattensammlung. Auf Geheimdienstdschungelpfaden lässt sie die LPs nach Ostberlin schaffen. 1989 trennt sich Elke von Einar. Knall auf Fall heiratet sie ihren Führungsoffizier Wotan ‚Stalin‘ Freiling. Das Paar lebt zunächst in Berlin. 2000 lässt es sich an der baltischen Riviera nieder. Das Tscheka*-Tandem zieht in Elkes Großelternhaus ein. Zu dem sagenhaften Skipperhus bald mehr.  

Zuchtmeisterin der Stasi war das NKGB. Das Institut der engagierten Rechtspflege nahm Maß am ersten sowjetischen Geheimdienst. Die deutschen Verbündeten wurden mit dem „Tscheka“-Terrorstil vertraut gemacht. „Tscheka“ steht für „Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“. Gegründet wurde dieser Staatssicherheitsdienst 1917.  

Elke und Stalin steigen in das von Ex-MfS- und Stasi-Leuten kontrollierte Immobiliengeschäft ein. Die Freilings verdienen sich goldene Nasen. 2012 ertrinkt Wotan F. nahe dem Nordwestufer des Saaler Boddens. Zumindest ist Ertrinken die offizielle Todesursache. Ein halbes Jahr später zieht Einar bei Elke ein. Seither bilden die beiden eine Wohngemeinschaft, in der Elke zwar den Ton angibt, Einar aber auf seinen Kosten kommt.

Ahrenshoop 2017 - So geht es weiter

Etwas stört den vertrauten Anblick. Auf der ältesten Gartenzierde, einer stillgelegten Pumpe, liegt ein Fremdkörper. Die erschrockene Unwillkürlichkeit hält das Ding für einen Schrumpfkopf. Es befinden sich noch Exemplare aus einer Sammlung auf dem Dachboden. Die Präparate sollen philippinischen Ursprungs sein. Elke begnügt sich mit unklaren Vorstellungen und einfachem Kreuzworträtselwissen von Weltgegenden, die ihre männlichen Vorfahren genau kannten. Stünde sie jetzt auf der anderen Seite des Gartenzauns, würde sie es so sagen: Eine unausgesprochene Ablehnung verbindet die Kapitänsgroßenkelin mit jeder Ferne.

Das ist so wahr. Bald zweihundert Jahre gingen Elkes männlichen Vorfahren ohne Ausnahme auf große Fahrt. Gicht & Rheuma erhielten sich als Familienbegriffe bis in die 1960er Jahre. Damals litt schon Jahrzehnte kein Čarnica mehr unter Kältekrankheiten. Als Kind kam es Elke so vor, als seien die Begleiterscheinungen eines harten beruflichen Alltags, einschließlich ihrer kuriosen Beschreibungen in alten Hausapotheken allen möglichen häuslichen Dingen eingeschrieben.

Aus Elkes Aufzeichnungen aus dem Jahr 1976

Meine Ahnen machten sich nicht gemein mit Fischern, die in der Badewanne vor der Haustür dümpelten. Obwohl auch die Ostsee loslegen kann, erzieht da doch kein Kap Hoorn zur Gottesfurcht.

Vor Kap Hoorn geraten Polarmeer, Stiller Ozean und Atlantik aneinander. Ich bin durcheinander wegen Ole, Waldemar und Otfried. Sie können mir doch alle nicht das Wasser reichen als geborene Dösbaddel. Also kann ich mir ihre Verehrung lediglich gefallen lassen und muss es eben hinnehmen, für grootsk (aufgeblasen) gehalten zu werden.

Kurze Intervention

Als Allwissender möchte ich darauf hinweisen, dass die junge Elke nicht ehrlich zu ihrem Tagebuch war. Es rumorte nämlich mächtig in ihr, zumal wenn sie Otfried (mit dem freundlichen Familiennamen) Vrunt sah. Mit ihm wäre sie über kurz oder lang da hinter den Hecken gelandet, wo sich die Dinge so zutrugen, dass geheiratet werden musste, nicht anders als in vorangegangenen Generationen. Doch war Elke eine Maike zuvorgekommen, die dann auch mit gefülltem Aabenröhr („Aufbewahrungsfach im Kachelofen“, Quelle) aus dem Unterholz kam.

Noch Jahre später registrierte Elke ein leises Bedauern, wenn sie an Otfried dachte.

*

Der Schrumpfkopf entpuppt sich als grimassierender Halloween-Kürbis. Elke sollte vielleicht doch mal wieder ihre liebe Nachbarin, die Augenärztin Sabine Gendriksen besuchen.

Jonna von Stellberg (Kostümbildnerin im Ruhestand), Sabine Döring (Ärztin), Mila Höckelheim (Gastwirtin, Köchin), Merle Strindberg (Schneiderin mit eigenem Label), Liah Sjöberg (Anwältin) und Ida Klütz (Apothekerin mit eigener Apotheke) bilden an ihrer Ecke des Hohen Ufers einen Damenkranz als Freundinnen kurzer Wege und schneller Lösungen.

Doch im Augenblick verfangen sich Elkes Sinne in der Reuse eines Rätsels.

Was soll ihr der Kürbiskopf sagen?    

Kein Zufall erklärt das Ding auf dem von Hein Hagrich vor langer Zeit festgeschweißten Pumpenschwengel. Elke fällt eine Binse ein, mit der ihre Mutter gern aufwartete: In jedem Zufall steckt ein Fingerzeig Gottes.

Wer will Elke mit der aller-heiligen Rübengeistermaske heimleuchten?