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2023-02-12 09:15:44, Jamal

„Die Freiheit kann reden, denn ihr ist das Wort zugleich Waffe und Beute; die Macht aber ist verloren, sobald sie anfängt, sich zu rechtfertigen.“ Ludwig Börne

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Darum überzeugt er nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht; denn man weiß, dass er an der Wahrheit nur das Schöne liebt. Ludwig Börne über Heinrich Heine

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„Wir sind in den alten Theatern ebenso wenig am Platze wie Jack Dempsey bei einer Rauferei in einer Kneipe voll zur Geltung kommen kann. Da haut ihm einer einfach einen Stuhl über den Kopf + er ist k.o.“ Elisabeth Hauptmann in ihren Notizen zur Vorbereitung von Bertolt Brechts erstem Interview. Das Gespräch mit dem aufstrebenden Dramatiker sollte Frank Warschauer für die Literarische Welt führen. Es kam dann aber anders. Warschauer sagte ab. Für ihn sprang - am 30. Juli 1926 - Bernard Guillemin ein.

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„‘Was arbeiten Sie?‘, wollte die Literarische Welt im Sommer 1926 von Bertolt Brecht wissen. Anlass für einen Hausbesuch in Berlin-Wilmersdorf.“ Quelle

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„Nachdem Vasco Núñez de Balboa einige Kaziken, welche sich ihm feindlich entgegenstellten, gezüchtigt und unterworfen hatte, schiffte er sich mit seinen Leuten auf neun Canots (Kanus) ein, um die Küste des großen Golfs, an welchem er sich befand und dem er den Namen St. Miguel beilegte, näher in Augenschein zu nehmen.“ Francisco de Xerez, „Geschichte der Entdeckung und Eroberung Perus“

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„Dem Aussehen nach mochte er etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein. Sein über die Brust herabwallender schwarzer Bart zeigte Spuren von Grau, sein Antlitz war tiefbraun und zum größten Teil durch ein rotes Tuch verdeckt. Er ritt ein großes, weißes Dromedar, das ein Zelt auf dem Rücken trug.“ Lew Wallace, von 1881-1885 US-Gesandter im Osmanischen Reich. Als Gouverneur des New-Mexico-Territoriums war er in die Ermittlungen gegen Billy the Kid involviert.

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„Du musst es mir nicht übelnehmen, lieber Bruder, dass ich Dir schon wieder schreibe, - es geschieht nur, um Dir zu sagen, dass das Malen mir ein so ganz besonderes Vergnügen macht.“ Vincent van Gogh

© Jamal Tuschick

Der Herzog von Thunderbolt und die Französische Revolution

Am Hof Ludwig XVI. verstand man das Geschäft des Speichelleckers als Lehrberuf. Unterwürfigkeit spielte mit Gelenkigkeit zusammen in Allianzen, die uns zwar nichts mehr sagen, den Damaligen aber bis zur Gleichgültigkeit geläufig waren und natürlich erschienen - da sie soziale Stoffwechselfunktionen erfüllten. Als dann der Hof hinweggefegt wurde, ergaben sich für seine Milieus oft nur Rinnsteinlösungen, wenigstens im Vergleich mit einer beim Sonnenkönig akkreditierten Speichelleckerin. 

Sommer 1793; die Hinrichtung von Ludwig XVI. am 21. Januar auf dem Place de la Concorde ist schon wieder Schnee von gestern.

Wer zum Fintieren erzogen wurde, kann sich als Spieler und Rummelplatzfechter durchbringen. Dealer geht auch in einer Zeit, in der Drogen in allen Boutiquen lebhaft angepriesene Gebrauchsgegenstände sind. In einem Beitrag vom 21. Juli rückt Thunderbolt den Alkohol in einen überzeitlichen Rahmen. Wein habe „Europa stärker geformt als alle Armeen“. Der Unsterbliche erinnert an Weinfeste der Götter, die wie Kokainorgien über die Horizontlinie gingen. Er betrachtet den gelinden Rausch als kultivierendes Moos auf den Findlingen der Gewalt, die Völker und Staaten machen. Er stellt Wein als eine Sache heraus, die Eroberungszüge überdauert. 

Thunderbolt beobachtet die Revolution in Paris für die Virginia Gazzetta. Er wirkt als Journalist, Berater und Spion; residierend am Place de la Révolution (heute Place de la Concorde) im konfiszierten Palais des Herzogs von Crillon. Den König köpfte man direkt vor seiner Nase. Thunderbolt machte ein Vermögen mit der Vermietung seiner Balkone und Terrassen an Schaulustige, die das Vergnügen der Hinrichtung mit privaten und zugleich halböffentlichen Perversitäten steigerten. 

Als Veteran des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges ist Thunderbolt nichts weniger als zimperlich und schon gar nicht royalistisch. Karikaturen zeigen ihn unter ätzenden Überschriften als reitenden Boten der (oft als Brand dargestellten) Weltrevolution. Vorbemerkungen zu einem nie ausgeführten Gedicht tragen den Titel „Das Lächeln der Guillotine“. Man nimmt an, dass Thunderbolt den Zeitpunkt von Ludwigs Enthauptung mit einer Feder in der Hand, der Zigarre im Ohr und einem Speichellecker zu seinen Füßen begrüßte. Für ihn ist, um auf den Artikel zurückzukommen, Tabak das „Geschenk Amerikas an Europa“. Er vermutet allerdings auch eine Verminderung der permanenten Umsturzbereitschaft „in der alkaloiden Sphäre“. 

Auch dem Henker widmete Thunderbolt einen Aufsatz. Charles-Henri Sanson zählt zu den berühmtesten Männern Frankreichs. Sein Amt versieht er ohne Freude, doch mit Fleiß. Er hat in Paris keinen Kollegen. Gegenwärtig richtet er im Akkord hin. Er exekutiert Gegner:innen und Anhänger:innen der Revolution ohne Ansehen der Person. Das Amt ist im Erbgang auf ihn gekommen und wird so weitergehen. 

Thunderbolt nennt Paris die größte Favela Europas. Seinen Leser:innen begegnet er von oben herab. Nur wer belehrt werden will, findet in Thunderbolts Revolverreportagen Genuss. Alle anderen fühlen sich von der Überheblichkeit des Autors abgestoßen.

Bis zur Revolution erhielten nur Schranzen das königliche Privileg, ein Casino/Freudenhaus führen zu dürfen. Thunderbolt hält sich damit auf, dass die niedrigsten Höflinge zu entthronen, noch niemand bereit war. Er stiefelt durch Akademien der Liederlichkeit und berichtet von Schnapphähnen mit am Leib schmählich verborgenen Waffen und manchen charmanten Compagnien aus Gefallenen, Verstoßenen, Versprengten und Geächteten. Die derangierte Oberschicht schickt ihre Emissäre in diese Sphäre.

Für einen Louisdor kann man die Nacht durchtanzen. Parolen und Klopfzeichen dichten das Geschehen gegen die Revolutionswächter:innen ab. In den Verließen des Vergnügens kursieren noch die Titel des Ancien Régime. Gräfinnen treiben die Kuppelei so weit, dass sie ihre Töchter anbieten. Thunderbolt erscheint die entmachtete Aristokratie ganz bedeutungslos. Dass sie so schlapp und verworfen die Revolution einfach überleben wird, um bei der nächsten Restauration wieder aufzuerstehen, ist für den Vorgänger von Gertrude Stein und Ernest Hemingway (als publizierenden Amerikaner in Paris) unvorstellbar.