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2023-02-10 08:11:41, Jamal

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Zwei, drei Schnittmusterfehler und du landest bei den verworfenen Bögen auf dem Boden.

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„Man muss keine Jugendfehler ins Alter hineinnehmen, denn das Alter führt seine eigenen Mängel mit sich.“ Goethe

© Jamal Tuschick

Draußen nur Kännchen

In den verdächtigen Zuständen äußerster Unscheinbarkeit waren Susi und Stefan durch die Schule geschlichen und hatten, wie aus der Luft gegriffen so plötzlich und unerwartet, das Zeug zum Abitur gehabt. Da war so viel Simsalabim gewesen, dass ich den Überblick verloren hatte. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, wenn Susi und Stefan es völlig normal fanden, bei jeder Gelegenheit - zutraulich wie kleine Tiere - auf mich zuzugehen. Sie waren nicht abzubringen von einem Nähe-Phantasma, das sich aus ihren Begriffen von einer gemeinsamen Kindheit ergab.

Ach ja, Susi und Stefan - Ich vergaß die beiden nach jeder Begegnung. Sobald ich in den Zug stieg, erst um von uns nach fort, also von daheim nach Frankfurt zu fahren, und schließlich, um von Kassel aus heimzufahren, gab es Susi und Stefan nicht mehr. Mir entging, wie Stefan Karriere machte, bloß weil er schon mit Mitte Zwanzig das Repertoire eines alten Mannes besaß und sich für den ödesten aller Bereitschaftsdienst nicht zu schade war.

Zurück auf Anfang

Susi und Stefan durchlaufen gemeinsam und unfreiwillig präpubertäre Stadien in einer Stadtrandgegend zwischen Dorf und Neubausiedlung. Man fährt nicht in die Stadt. Der Kindergarten, die Schule, der Verein, der Blockföten- und der Konfirmationsunterricht sowie alles andere vom Bäcker bis zur politischen Jugendgruppe befinden sich an Ort und Stelle. Nominell ist man Städter:in, de facto Landei. In der Enge erscheint jede lokale Eigenart universell. Man spricht Dialekt und glaubt, die Leute, die anders sprechen, sprechen falsch. Und so weiter. Es kommt, wie es kommen muss. Susi und Stefan erleben sich als gute Freunde, zwischen denen nichts läuft. Beide sind Kumpeltypen, wie freiwillig, dass weiß keine(r). Zwei, drei Schnittmusterfehler und du landest bei den verworfenen Bögen auf dem Boden.

Frau/Man verliert sich kurz aus den Augen und trifft sich auf der Kirmes wieder. Da passiert es zwischen Schiffsschaukel und Anhänger. Auf einem Fahndungsplakat wird ein junger Mann zum Mitreisen gesucht. Wir sind immer noch in der Draußen-nur-Kännchen-Welt. 

Zwanzig Jahre später

Er war in den guten Zeiten Geschäftsführer geworden. Anfang der Neunziger hatte ein Vorstandszausel Stefan gefragt, ob er sich vorstellen könne, wenigstens drei Tage in der Woche im Büro die Stellung zu halten.

Damals bedeutete das, Anrufe von Leuten entgegenzunehmen, die sich entweder verwählt hatten oder annahmen, die KSZ sei eine kommunale Anlaufstelle, etwas Städtisches und so offiziell wie das Liegenschaftsamt oder die Industrie- und Handelskammer mit ihren Existenzgründungsseminaren.

Stefan legte jedes Blatt Papier ab, das ihm in die Finger geriet. Das brachte ihm den Ruf ein, der Gewissenhafteste von allen zu sein, die sich im Dezember 1989 noch in der alten Löwengrube zu einer Vereinserweiterung entschlossen hatten. 

Stefan hatte Sitzfleisch. Ihn unterhielt jede Wurfsendung. Er war von Haus aus wenig zupackend. Körperlicher Arbeit ging er angewidert aus dem Weg.

Susi war genauso phlegmatisch und außerdem ewig erkältet, überfordert und ausgekühlt bis auf die Knochen. War einerseits und war andererseits; war jederzeit bereit, sich auf eine Brotscheibe dick Butter zu schmieren und darauf (mit einem Wiegemesser) kleingemachten Schnittlauch zu streuen. Sie dealte mit ausgelassenem Gänsefett und sagte zu keiner Salamistulle je nein.