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2022-11-19 07:49:27, Jamal

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Lyrische Exaltation

Den Seziersaal erlebt die Studierende als Rückzugsraum. Sie erklärt das Sezieren zu einem dem Schreiben verwandte Tätigkeit. Für beides brauche man Geduld. In jedem Fall taste man sich „nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vor, bis man am Ende auf etwas stößt, dass einen überzeugt“. Die Prozesse der Aneignung von väterlichem Wissen koinzidieren mit einer „Verschlechterung“ der familiären Kernbeziehung. Das Idol zieht sich vor den Stimmungsinterferenzen der Adeptin zurück. Der Vater verweigert seiner Tochter das Recht auf melancholische Durchgänge und lyrische Exaltation.

Rituelle Aura

Die Autorin beschwört die „rituelle Aura“ antiker Aufnahmen; aufwendig inszenierter und produzierter Porträts, auf denen unsere Ahnen gravitätisch erscheinen. Sie memoriert Details einer ruralen Praxis voller landwirtschaftlicher Illuminationen.  

María Sánchez, „Land der Frauen“, Essay, aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer, Blessing Verlag, 189 Seiten, 20,-

Sánchez erinnert eine Kindheit zwischen Korkeichen und Olivenbäumen. Männer wirkten omnipotent. Sie traten auf und entschieden. Frauen huschten wie Gespenster durch die häuslichen Labyrinthe. Sie waren Dienerinnen und unterstanden sogar ihren Söhnen.

„Warum ist es normal geworden, sie aus unseren Erzählungen zu verdrängen?“ fragt die Autorin. In ihrer Familie ist sie in mehrfacher Hinsicht die Erste.

„Die erste Enkelin, die erste Tochter, die erste Nichte. Aber auch die erste Tierärztin.“

Mit ihr ging eine männliche Domäne, der Vater und der Großvater waren Tierärzte, in die weibliche Sphäre über.

Den Seziersaal erlebt die Studierende als Rückzugsraum. Sie erklärt das Sezieren zu einem dem Schreiben verwandte Tätigkeit. Für beides brauche man Geduld. In jedem Fall taste man sich „nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vor, bis man am Ende auf etwas stößt, dass einen überzeugt“. Die Prozesse der Aneignung von väterlichem Wissen koinzidieren mit einer „Verschlechterung“ der familiären Kernbeziehung. Das Idol zieht sich vor den Stimmungsinterferenzen der Adeptin zurück. Der Vater verweigert seiner Tochter das Recht auf melancholische Durchgänge und lyrische Exaltation.

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Sánchez überliefert eine Szene von archaischer Nachdrücklichkeit, die sie Eliseo Bayo verdankt. Regnet oder schneit es im entlegenen Norden Spaniens, formieren sich Hirten zum Gänsemarsch. Einer legt die Spur. Die anderen treten in seine Fußstapfen, um keine nassen Füße zu bekommen. Das ist „eine Frage des Überlebens“.

*

Der Essay changiert zwischen Manifest und Pamphlet. Sánchez beschwört die Kraft der Frauen. Sie beklagt eine Vergangenheit, in der Frauen nicht zu Wort kamen. Sie verkündet:

„Meine Mutter war für mich jahrelang eine vollkommen Fremde.“

Die „perfekte Hausfrau … im Schatten“ des Übermächtigen erlebte die Vatertochter als ständiges Ärgernis. Sánchez unterstellt ihrer Mutter Antriebsschwäche und wirft ihr ein Dasein ohne Ambitionen vor. 

Aus der Ankündigung 

María Sánchez ist Landtierärztin - ein körperlich sehr herausfordernder Beruf, der in ihrer Familie bisher nur von Männern ausgeübt worden ist. Als ihre Großmutter an Demenz erkrankt, stellt die junge Frau fest, dass sie von deren Leben und Alltag nichts weiß, anders als von dem ihrer Großväter, die für sie immer Vorbilder gewesen waren. Sánchez beginnt, ausgehend von ihrer eigenen Familie, die Geschichte der Frauen auf dem Land zu erforschen und zu erzählen - und so denen eine Stimme zu geben, die bisher keine hatten.

Poetisch und liebevoll beschreibt María Sánchez die bäuerliche Welt aus Sicht der Frauen, entdeckt, dass sich weibliche Lebenskonzepte und Interessen auf dem Land sich anders definieren als in der Stadt und schlägt eine Brücke zwischen diesen beiden Welten.

»Die leidenschaftliche Unbedingtheit von „Land der Frauen“ [...] kann einen leicht mit sich fortreißen. [...] Sánchez [...] hat sich eingeschrieben in die weibliche Linie ihrer Familie.« Süddeutsche Zeitung, Jutta Czeguhn  

Zur Autorin

María Sánchez, geboren 1989, ist Landtierärztin, hat eine eigene Radiosendung und schreibt regelmäßig für spanische Online-Medien Texte zu Feminismus, Literatur und dem Leben am Land. Ihr Debüt, der Gedichtband Cuaderno del campo, erschien 2017 und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. María Sánchez lebt in Córdoba.