MenuMENU

zurück

2022-05-04 07:26:08, Jamal Tuschick

#Lob

Guten Morgen Herr Tuschick,

haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre scharfsinnige Rezension zu „Meer Liebe im Herzen“. Sie haben die Stimmung des Buchs bestens eingefangen.

Herzliche Grüße und einen guten Start in die Woche

Kathrin Bücherl

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Blanvalet | Limes | Penhaligon

Das Lob bezieht sich auf diese Besprechung.

„In der retrospektiven Auffassung erschöpft sich die DDR als Episode diverser Landesgeschichten.“ Gunda von Tillwitz

Sozialistischer Thriller

Was zuvor geschah - Randständige Existenz

Die oft besungene, fotografierte, gemalte und erzählte „Boddenperle“ Jonna von Stellberg trotzt dem Zahn der Zeit mit einer grandiosen Selbstwahrnehmung. Sie lebt herrschaftlich im ererbten Skipperhus. Einnahmen bezieht sie aus Vermietung & Verpachtung. Geistig fit hält sie sich mit einer uferlosen Aufarbeitung der Mecklenburg-Vorpommerschen DDR-Dramatik unter Berücksichtigung der Berliner Vorgaben von Brecht bis Müller. Tonangebend ist Jonna in einem Kreis fröhlicher Flow-Fetischistinnen und Sonnenanbeterinnen.

Zurzeit beschäftigt sie sich mit dem unehelich geborenen Sohn einer Erzgebirglerin, die nach dem Krieg am Bodden als Magd von Otfried Vrunt Senior ein Auskommen fand. Alwin Adler trug den Namen seines Adoptivvater Hermann A., der im Weiteren keine Rolle spielte. In Tillwitz fiel Alwin als adoleszenter Dissident auf. Ihm glückte die Freundschaft zu der angehenden Zootechnikerin Meret Kesting. Mit ihr wanderte er im Darßer Urwald.

Halbherzig fragt Jonna nach den Motiven jugendlicher Dissidentinnen in der frisch aufgebrühten, nach Zukunft duftenden DDR. Sie ruft Uwe Johnson und Brigitte Reimann in den Zeugenstand. Reimann, die als Stalin-Bewunderin gut ankam, nannte Gegnerinnen des Regimes Verräterinnen.

Als regimekritischer Totengräber und Friedhofsgärtner war Alwin lediglich eine randständige Existenz beschieden. Der trostlose Außenseiter starb 1988.

So geht es weiter - Sozialistischer Thriller

Konrad Wolfs 1958 im Tau der Aufbaueuphorie entstandene sozialistische Thriller Sonnensucher kam wegen halbwegs realistischer Schilderungen des Uranbergbaus der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut lange nicht in die DDR-Kinos, obwohl der Staat mit solchen Referenz-Schmuckstücken für sich hätte Reklame machen können. Wolf variiert den Birth-of -Nation-Topos ohne Preisgabe des genretypischen Pathos. Die Deppen im Politbüro sahen den Glanz in ihrer Hütte nicht.

Irgendwann bringt der alte Adler das Schulgeld nicht mehr auf. Der junge Adler zischt ab in den Uranbergbau der Wismut-AG, dem fürchterlichsten Betrieb im Moskauer Herrschaftsbereich auf deutschem Boden.

Dann trennt sich die Mutter von dem beflissenen Nazi (sie will seine Schwierigkeiten in der neuen Zeit nicht teilen) und zieht mit ihrem Sohn zu ihrem Nennonkel Otfried, der Ältere an den Bodden.

Alwin verarbeitete seine Lebensgeschichte in einem Stück. 2014 sichtet Jonna das Manuskript im Skipperhus.

Gartenzwerg aus der Sturmabteilung - Ein Auszug

An einem Werkstrang hängen die Leichen von Männern, denen ihre Frauen zum Selbstmord rieten. Die Frauen rufen:

Zu einem Sklavenvolk gehören wir in Schande.

Auf Knien kann man nicht gehen. Kein Mann ist ein Krüppel.

Inge wurde mit einem Irrtum getraut und hat den zum Vater ihrer Kinder gemacht. Eine verwaschene Vettel zeigt den Gartenzwerg aus der Sturmabteilung mit krummen Fingern an, das ist Inges Mutter. Sie kann ihre Hände nicht schließen so verschafft sind die Hände nach einem halben Jahrhundert auf dem Hof.

Der Angezeigte sagt: „Bleib vom Hals mir mit deinen Krähenfüßen.“

Er nennt so die Krallen der Schwiegermutter.

Inge streicht den Krüppel aus ihrem Leben, da sitzt der noch vor seinem Terrarium voller Blindschleichen in einer Remise ihrer Eltern. Schon stört er im aufkommenden Frieden. Er hört den Bierkutscher auf das letzte Pferd im Ort einschlagen. Ohne ein Wort der Verwünschung. Er denkt an Hälften bei einem Pferdemetzger seiner Kindheit an der Flensburger Förde. Die halben Pferde hingen zur Ansicht vor dem Laden. Der Metzger: stets kerzengerade, ein Muster der biederen Ehrbarkeit. Unübertroffen auf seinem Gebiet, der Pferdemetzgerei.

Jeden Morgen wird wer vom Baum geschnitten, bei dem man das nicht gedacht hätte.

*

Die schlimme Zeit in den Erzählungen von Inges Mutter. Der Steckrübenwinter bis zur vollständigen Entkräftigung, die Inflation und manches aus der Familie gingen dabei in eins: das war die schlimme Zeit.

„Das ist eine andere Zeit“, sagt die Frau ungeduldig am Küchentisch. Sie streicht die Decke glatt. Immerhin noch eine Decke auf dem Tisch.

„Sie werden dir nie vergessen.“

„Denk an deine Töchter, ob du sie nun gezeugt hast oder wer auch immer die Arbeit tat.“

„Der Doktor Diepholz hat sich doch auch,“ sagt sie. „Und wenn man bedenkt, wie zimperlich der war.“

Ja, das werden sie ihm nie vergessen, wie er gehaust hat in ihren Nestern. Wie der Mann seine Macht genossen hat, bis die Beine ihm weggesichelt wurden bis zu den Knien. Geschah ihm recht. Überall noch offene Rechnungen. Die Frau wird wohl so freundlich sein, ihm eine Schlinge zu knüpfen auf dem Heuboden der Schwiegereltern.

Er hat eingeheiratet und wie die Made im Speck gelebt und jetzt ist seine Zeit abgelaufen.

Herrgott, wann kriecht er zum Stall, sich darin endlich aufzuhängen.

„Du lässt nichts zu wünschen übrig für mich. Die Russen werden sich auch an dich, die Lütten und Alten halten“, sagt der Mann.

„Sie werden sich um uns gar nicht groß kümmern“, erklärt Inge kategorisch. „Wir werden ohne einen Unterschied für sie sein, grau wie Asche. Ein Sklavenvolk aus Weibern und Greisen und Kindern in Schande.“

*

„Jetzt tut ihm nichts mehr weh“, sagt die Mutter bald.

Die ersten Russen wollen Wein, sie holen Geschirr aus den Häusern und registrieren die Verlierer auf dem Marktplatz. Sie halten ihre Pferde im Schloss. Das Parkett leidet unter den Hufeisen. Nach den ersten Aufregungen raten die Sieger der Bevölkerung, die Kirche im Dorf nicht länger zu beachten.

Mit bloßen Händen räumt Inge Schutt, eine deutsche Aufsicht im Nacken. Die Männer auf den Baustellen sind gebildete Leute. Zwangsverpflichtete Nationalsozialisten. Lehrer, Architekten, Richter. Sie kriegen Schwerstarbeiterzulage und haben Gerät. Ihr werdet ein Volk in den Griff kriegen müssen, dass euch hasst, denkt Inge. Die Losung der Kommunisten lautet: besser leben. Das ist ein Witz.

„Wir haben den Krieg verloren und das ist der Preis dafür“, sagt Inge. Sie hockt in der Ruine ihrer Schule.

„Hast du den Krieg gewollt?“ fragt Vera.

„Wer bin ich, Krieg zu wollen oder eben nicht?“ schnappt Inge. Vor dieser Vera muss man sich in Acht nehmen, sie hat ein loses Maul, eine Wulstnase wie jede Hexe - und gewiss ist sie eine Hure den neuen Herren.

Puppen auf den Feldern, auf einer Wiese klumpen sich Schlangen zur Paarung. Es gibt einen Fleischsoll: abzugeben an den Staat, der immer noch Zone heißt. Die Bauern murren und verschanzen sich. Die Plackerei soll kollektiviert werden, das geht gar nicht.

„Diese Ehe war aus Versehen“, sagt Inge fünf Jahre später, wohnhaft nun in der Thälmannsiedlung. Die Postanschrift lautet Lehnitz/Nordbahn. Eine Briefmarke kostet 15 Pfennig.

Mit bloßen Händen geräumt, dankbar für Brot. Abends in vulkanischen Tanzereien und erzwungenen Gelagen. Jetzt ist aber bereits der 24. Februar 1950. Inge schwebt mit einer Anfrage des Ministeriums für Volksbildung (Hauptabt. Kunst und Literatur, gez. Schöningh, Berlin W1, Wilhelmstraße 68, Tel. 420018) in das Büro ihres Chefs. Der Chef heißt Rudi Engel, er stellt den Direktor der in Gründung begriffenen Akademie der Künste am Robert Koch-Platz dar.