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2021-11-15 10:32:17, Jamal Tuschick

Früher Spätwestern

Sein Gesicht hält dem erdgeschichtlichen Budenzauber stand, der in dem frühen Spätwestern One Eyed Jack 1961 als Kulisse herangezogen wurde – all die Tafelberge, Schründe, Kegel, Dolmen, Gipfel, Canyons, Reliefs, säulenförmige Mammutsukkulenten, Dünen, Kämme und Grate - sowie der kalifornisch-pazifische Brandungsschick unter einem dramatischen Himmel. Die Oberflächen halten lange Betrachtungen aus. Marlon Brando, der die Kamera als Schauspielerregisseur zu seinem willfährigen Spiegel machte, wusste, dass sein Gesicht dem Raum ebenbürtig war.

Zur Handlung. Im Prolog des Geschehens vollzieht sich ein Verrat unter nordamerikanischen Verbrechern in Mexiko. Der Verräter reitet mit der Beute direkt in ein neues Leben als Sheriff-Spießer. Der Verratende entkommt nach fünf Jahren einer Hafthölle und kennt nur noch einen Daseinsgrund.

„Der Hass hatte ihm geholfen, zu überleben.“

Psychologische Schusswechsel

Brando spielt den entlaufenen Sträfling Rio auf der Suche nach einem Mann, den er Dad nannte und von dem er Kid genannt wurde. Er findet den väterlichen Feind schließlich in der Rolle des Gemeindevorstands von Monterey. Dad Longworth übt die Polizeigewalt in der Manier eines Bürgermeisters aus und erscheint seiner Frau und einer Stieftochter als Patriarch, dem das Wunder einer vollständigen Verwandlung gelang.

Karl Malden spielt den Spießbürger, der für seine Gewaltlust sardonisch legale Ziele ins Auge fasst. Im Nachgespräch zum Film stellte sich die Schriftstellerin Silvia Szymanski ratlos die Frage: „Wie wird man als Mann so?“

Brandos Wut auf das Establishment tobt sich in Dad Longworth aus. Der Regisseur zeigt den größten Kriminellen weit und breit in der Maske des Gesetzeshüters als einen Ausbund der Obszönität. Etwa, wenn Longworth einen Betrunkenen heimwärts tritt und seinen Sadismus als autoritäre Fürsorge tarnt. Die Kamera kassiert den unkontrollierbaren Moment der Entladung und friert die im sadistischen Vergnügen schwelgende Physiognomie für die Ewigkeit ein.

Protestpatina

Brando zeigt, wie es Longworth im Kreis der Familie schmeckt. Das schlechte Gewissen verkehrt sich im guten Appetit. Man muss sich nur einen von John Ford dirigierten John Wayne zur selben Zeit vorstellen, um zu begreifen, wie avant Brando ist. Er bombardiert das Genre mit „unversöhnlichen Interventionen“ (Max Czollek). Er widerspricht dem von Longworths produzierten Western-„Normalitätsphantasma“ (erweiterter Czollek).

Ich sehe den einzigen Film, in dem Brando Regie führte, gemeinsam mit fünfzig Leuten, die meisten sind in der zweiten Lebenshälfte. Ich frage mich, wie der Film auf sein Publikum Anfang der Sechzigerjahre gewirkt hat. Die Modernität von damals gibt sich manchmal noch zu erkennen unter der Protestpatina, die nicht mehr zieht. Der Brando von 1961 nimmt den alten Regisseuren den Western aus der Hand. Als Repräsentant der Vergangenheit zieht Longworth in den psychologischen Schusswechseln den Kürzeren nicht nur gegen Rio, sondern auch gegen seine Stieftochter, die von einem Beziehungsgeflecht gefangen genommen wird – einem Flechtwerk der Hoffnung.

Drei Jahre vor ihrem Tod spielt Pina Pellicer Louisa als eine Frau, die Rios Berechnungen und Balzroutine kontern kann. Sie wird schwanger im nächtlichen Gespräch, während der Stiefvater seine Frau zu vulgärem Hoppe Hoppe Reiter nötigt. Er wird abgewiesen und in die Nacht gejagt. Noch einmal schnallt er den expandierenden Embonpoint in den Rüstungswurmfortsatz eines Revolvergurts.