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2021-08-20 09:05:07, Jamal Tuschick

Now we get ready to rumble

... der Augenblick, als Kimberlé Crenshaw in Berlin ausrief: „Now we get ready to rumble“.

Es gibt keinen Feminismus, der Rassismus ausklammert.

Vor dreißig Jahren prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff „Intersektionalität“, um das Zusammenspiel von unterschiedlichen Unterdrückungsformen zu beschreiben. Seitdem arbeitet die US-amerikanische Juraprofessorin und Aktivistin unermüdlich daran, unsichtbar gemachte Bevölkerungsgruppen, allen voran Schwarze Frauen, in ihren komplexen Lebenswirklichkeiten sichtbar zu machen. Intersektionalität erlaubt, so ihre Überzeugung, inklusiv politisch zu arbeiten und tatsächlich alle Menschen zu erreichen. Crenshaw hat bereits unzählige Menschen inspiriert und in ihrem Kampf um Gerechtigkeit unterstützt und gestärkt.

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May Ayim zählt zu den deutschen Pionierinnen der Diskurserweiterung Richtung Intersektionalität.

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In Deutschland liest man sie Schwarz, in Ghana, dem Herkunftsland des leiblichen Vaters, weiß. Ihre Sozialisation erfolgt auf einer Folie mehrheitsgesellschaftlicher Standards in einer weißdeutschen Adoptivfamilie. Der verquer Auf- und Angenommenen fehlen die Chancen doppelter kultureller Auswahl. Das schließlich Verinnerlichte passt nicht zur Fremdwahrnehmung ihrer Erscheinung.

Sprechen müssen

Vor fünfundzwanzig Jahren starb die Dichterin und Aktivistin May Ayim

Schließlich gelangt sie zu dem Schluss, „dass ich mich nicht zurückziehen darf, sondern sprechen muss“.

May Ayim, „blues in schwarz weiss & nachtgesang“, mit einem aktuellen Vorwort von Olumide Popoola, Unrast Verlag, 238 Seiten, 16,-

„Wissend, kritisch und leicht spöttisch.“

So erlebt Marion Kraft ihre Seelenschwester May Ayim bei der ersten Begegnung bei einer internationalen Frauentagung zu Literatur und Politik 1986 in Hamburg.

„Schwarz und deutsch sein war die Erfahrung einer grausamen Kindheit in den Nachkriegsjahren und einer Jugend bestimmt von Ausgrenzung.“

Das schreibt Marion Kraft in ihren Nachgedanken zu May Ayims Gedichten.

„schwester, warum … willst (du) den schmerz/ hinter meinem lachen/ anfassen?“

Aus der Ankündigung

»Manche der Gedichte sind wie vom klappernden Rap-Rhythmus inspiriert und dessen purer Lust am Reimen, die epigrammatisch kurzen erinnern an den poetischen Resonanzboden Sarah Kirschs. Vor allem sind diese Gedichte mutig und kühn: Mit Versen, die kein Gefühl aber auch nicht die Wahrheit scheuen, macht May Ayim vor, wie aus Ausgrenzung Widerstand wird, und dass es notwendig ist zu kämpfen statt zu schweigen.« – Frederike Haberkamp, Bonner Stadtmagazin

Biografische Virulenz

May Ayim (bürgerlich erst Sylvia Andler, dann Sylvia Brigitte Gertrud Opitz) wurde 1960 in Hamburg geboren. 1996 nahm sie sich das Leben.

Ihre leibliche Mutter, eine Deutsche, verweigerte den Kontakt zum Kind. Den ghanaischen Vater, zum Zeitpunkt der Zeugung Studierender, sah sie sporadisch. Die Adoptiveltern heizten eine gute gemeinte Erziehungshölle an. May Ayim hatte für ihre Differenzerfahrungen keine Referenz. Nach dem Abitur studiert sie - ihre eigene Geschichte erforschend - an der Universität Regensburg Pädagogik und Psychologie. Ihre wegweisende, in Regensburg abgewiesene Diplomarbeit trägt den Titel „Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen“. „May Ayim (fand) in Berlin eine Prüferin, die die Arbeit annahm“, so Wikipedia.

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In Deutschland liest man sie Schwarz, in Ghana, dem Herkunftsland des leiblichen Vaters, weiß. Ihre Sozialisation erfolgt auf einer Folie mehrheitsgesellschaftlicher Standards in einer weißdeutschen Adoptivfamilie. Der verquer Auf- und Angenommenen fehlen die Chancen doppelter kultureller Auswahl. Das schließlich Verinnerlichte passt nicht zur Fremdwahrnehmung ihrer Erscheinung.

May Ayim konstatiert beinah lakonisch:

„Ich spreche keine afrikanische Sprache, war noch nie im Geburtsland meines Vaters, kurz, ich bin keine Ausländerin.“

Das aber unterstellt man ihr oft: eine Heimat zu haben, die anderswo liegt.

„Das Blut kann man doch nicht verleugnen.“

May Ayim lernt das Lied von den zehn kleinen ... sie isst gern ...küsse. Sie spielt mit beim Wer hat Angst vor dem Schwarzen Mann. Sogar vor ihrem leiblichen Vater würde sie am liebsten weglaufen, wenn er sie in ihrer westfälischen Provinz besuchen kommt.

Mit dem Begriffen der Migrationssoziologie und -psychologie lässt sich die biografische Virulenz im Fall von May Ayim nicht beschreiben.

May Ayim, „Grenzenlos und unverschämt“*, mit einem aktuellen Vorwort von Josephine Apraku, Unrast Verlag, 191 Seiten, 14.80,-

*„grenzenlos und unverschämt“ heißt ein Gedicht von May Ayim. Sie schrieb es „gegen die deutsche sch-einheit“. Es hebt an mit den Zeilen: ich werde trotzdem/afrikanisch/sein/auch wenn ihr/mich gerne/deutsch/haben wollt/und werde trotzdem/deutsch sein/auch wenn euch/meine schwärze/nicht passt. Quelle

Aus der Ankündigung

May Ayim versammelte in diesem zuerst 1997 veröffentlichten Werk ihre wichtigsten Aufsätze, Interviews und Reden und schuf so eine Bestandsaufnahme der rassistischen Zustände im wiedervereinigten Deutschland. Wissenschaftliche Arbeiten zu Geschichte, Erziehung und Therapie verbindet die Autorin mit autobiografischen Erinnerungen und der ganz persönlichen Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte und Realität als Schwarze Deutsche.

Ihre Texte über den »Stressfaktor Rassismus« oder »Ethnozentrismus und Geschlechterrollenstereotype« sind bis heute wegweisend und die »Gespräche« mit anderen afrodeutschen Frauen berühren noch genauso wie vor 35 Jahren.

Einen Einblick in das Leben von May Ayim bietet der biografische Essay der Journalistin Silke Mertins, die mit Menschen gesprochen hat, die May Ayim noch gekannt, mit ihr gearbeitet und gelebt haben. Ihre Eindrücke, Gefühle und Erfahrungen hat sie zu einem höchst lesenswerten Portrait verdichtet.

Kurz gesagt: Grenzenlos und unverschämt ist ein ›Klassiker‹ der afro-deutschen Kultur.

Zur Autorin

May Ayim, ghanaisch-deutsche Dichterin, Wissenschaftlerin und politische Aktivistin, wurde 1960 in Hamburg geboren, wuchs in einer Pflegefamilie in Nordrhein-Westfalen auf, studierte Psychologie und Pädagogik in Regensburg und schloss eine Ausbildung als Logopädin in Berlin ab, wo sie von 1984 an lebte und als Sprachtherapeutin sowie als Dozentin und als Studienberaterin an Hochschulen arbeitete. Im Alter von 36 Jahren nahm May Ayim sich das Leben.

2011 wurde das Kreuzberger Gröbenufer in Berlin dank einer zivilgesellschaftlichen Initiative in May Ayim Ufer umbenannt.

May Ayim ist Mitherausgeberin und Mitautorin der Bände Farbe Bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte und Entfernte Verbindungen. Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung sowie einer Vielzahl von Aufsätzen in Sammelbänden und Zeitschriften. Ihre Gedichte und Essays erschienen zunächst im Orlanda Frauenverlag (blues in schwarz weiss 1985; nachtgesang 1997; Grenzenlos und unverschämt 1997). Gedichte und Texte erschienen in Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Africa World Press veröffentlichte Blues in Black and White, eine Sammlung von Gedichten und Essays. Showing Our Colors. Afro-German Women Speak Out erschien bei der University of Massachusetts Press.

May Ayim war eine der Vorreiter*innen der Schwarzen Deutschen Bewegung, die mit ihrer Forschung zur Geschichte und Gegenwart Afro-Deutscher und mit ihrer politischen Lyrik im In- und Ausland bekannt wurde. Sie gehörte 1985 zu den Gründer*innen der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland.

1997 erschien der biografische Film Hoffnung im Herz. Mündliche Poesie – May Ayim (Maria Binder, 28 Min.) Den Film gibt es bei Vimeo mit englischen und portugiesisch/brasilianischen Untertiteln.