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2018-10-12 10:29:05, Jamal Tuschick

Dunja Hayali

Dunkle Wolken über Deutschland

Mitte der 1950er Jahre bleibt ein achtzehnjähriger Iraker auf dem Weg nach Amerika in Wien hängen. Die österreichische Kapitale ist ein Mekka der orientalischen Migration – ein arabischer Schauplatz in Europa. Da trifft Hayali eine aus seiner Heimatstadt Mossul – einer Stadt mit wechselvoller Geschichte und fast mythischem Ursprung als Nachfolgerin der assyrischen Metropole Ninive. Zwei junge Menschen machen Nägel mit Köpfen, während im Irak Köpfe rollen. Wen der Verdacht trifft, Kommunist zu sein, der ist auch in Wien nicht sicher. So kommt es, dass das Paar aus dem Laissez-faire einer studentischen Lebensweise herausgerissen und zur härteren Gangart des Exils genötigt wird. Der Witz anbei: die Hayalis sind gemäßigt-konservative Leute. Mit den Rebellen geraten sie in eine Fluchtbewegung Richtung Deutschland. Integration und Assimilierung sind noch lange kein Thema. Es gibt kaum Gastarbeiter, aber den Ausländer als Studenten kennt man. Man findet private Lösungen zur Untermiete, erst in Mainz, dann in Datteln. Da kommt Dunja Hayali zur Welt.

Mir gefällt, wie die Autorin den Vorlauf ihrer Existenz schildert, das Informelle und Zufällige. Eine hilfreiche Hand kann auf unvorhersehbare Weise Weichen stellen.

Hayali greift gleich in die Gegenwart. Sie wehrt sich gegen Zuschreibungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Sie wird rechts genauso wie links in Schubladen gesteckt und natürlich entgeht sie nicht dem Vorwurf, „linksgrün versifft“zu sein.

Die Migration ist eine kolossale Projektionsfläche für negative Entladungswünsche aus der Mehrheitsgesellschaft. Für Linksradikale ist Heimat eine aufgegebene Kategorie. Für Hayali – „ich bin weder links noch rechts“ - bleibt Heimat als positiver Begriff brauchbar. Das macht sie deutlich in der aktuellen Klemme zwischen Wutbürgern, die Deutschland in eine national befreite Zone verwandeln wollen, mit ihren zunehmend lauter werdenden Haupthähnen auf den Meinungsmisthaufen, und den anderen, denen man nicht radikal genug an Deutschland Kritik übt.

Ich glaube, jeder, der Deutschland aus einer Migrantenperspektive kennengelernt hat, kann sich vor einer Sehnsucht nach mehrheitsgesellschaftlicher Anerkennung nicht schützen. Das gehört zur Anpassung an oft ungnädige Verhältnisse. Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb viele erfolgreiche Migranten im konservativen Spektrum ihre Standpunkte finden. Nach den Abenteuern und Scherbengerichten der Einwanderung setzt sich ein Bedürfnis nach geordneten Verhältnissen unter dem Schirm einer Hoffnung auf Beständigkeit durch.

Auf diesem Hoffnungsmarkt treffen sich Eingewanderte mit der Mehrheit. Alle wollen ihren Jägerzaun. Wäre Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren permissiver gewesen, würden von den Dazugekommenen auch deutlich mehr Weihnachten feiern und Weihnachtsbaumüberbietungswettbewerbe veranstalten, analog zum um sich greifenden Helloween Fieber.

Das Sein prägt das Bewusstsein, sagt Marx. Im Verlauf ihrer Heimaterkundungen kehrt Hayali zu ihren biografischen Wurzeln zurück. Da erscheint Heimat „im Idealfall als der Ort, wo man mental auftanken und die Seele baumeln lassen kann“.

Hayali nennt sich „durch und durch Deutsch“, obwohl es seit dem rechtsextrem-rassistischen Vormarsch „einen Bereich in (ihrem) Hinterkopf gibt, der auf Alarm eingestellt ist“.

Das geht mir auch so.

Hayali lässt sich ihre Heimat von keinem madig machen. Ihr Credo lautet:

„Die Evolution echter Toleranz beginnt in unseren Köpfen und Herzen.“