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2018-08-12 18:39:50, Jamal Tuschick

Kombattanten im Kulturkampf – Wie alles anfing

„Ich protestiere lieber allein.“ - Feridun Zaimoglu und Arno Schmidt

Polyhistorisches Wahnsinnswissen

Drei mehr oder weniger brotlose „Kleingaukler“ (ein Schmidtwort für Schmetterlinge) entblößen sich in „Schwänze“. Das Trio lebt ländlich, von Idylle keine Spur. In seinem Gespräch überlebt des Landsers Galgenbeat. Der Krieg geht in den Köpfen weiter, er lauert auf Gelegenheiten. Anflüge von Depression werden präpotent abgewehrt. Als eine Frau ins Spiel kommt, fängt der Ich-Erzähler an, breitbeinig zu laufen.

„Schwänze“ ist eine Erzählung von Arno Schmidt aus dem Jahr 1961. Der Autor fand sich „als Intellektueller heiß/spitz wie ein Terrier“. Seine maskuline Suprematie verglich er mit der Atommacht Amerika. Frau Schmidt erschöpfte sich in „stumme(r) Anbetung, die auch Maschine schreiben kann“.

Die Kritiker zweifelten an dem Schriftsteller Schmidt: „Ist das Werk ein Kunstwerk? Wenn es das ist, mögen die zahllosen Kalauer, Bierwitze, Zoten, abnormen Sexualphantasien, Fäkalismen und der Gossenjargon hingehen. Den wahren Künstler hat man noch nie am guten Geschmack erkannt. Wenn Schmidts Buch kein Kunstwerk ist, hilft ihm auch seine gute Tendenz nichts.“

Die ins Spiel gekommene Frau will wissen, was Breitbein „gerade in der Feder hat“.

Er ist zwar bloß mit „mokanten Glossen“ auf den Markt, dreht aber trotzdem ein großes Rad der Selbstdarstellung.

Materiell geht nichts über Notdurft. Seit zwanzig Jahren wurde nicht mehr gefrühstückt. Aus der Kreisstadt lässt man sich Einlegesohlen mitbringen, während wohltätige Nachbarn den Darbenden Leberwurstringe anhängen. Mit diesem Programm absolvierte Schmidt seine persönliche Nachkriegszeit. Sie steckte ihm noch in den Knochen, als Jan Philipp Reemtsma in der Bargfelder Heide auftauchte und die Glocken von Schmidts Bedeutung zu läuten begann.

Zaimoglu saß mit Reemtsma auf einer Bühne – vom Bargfelder Boten zu Kanak Sprak. Schmidt hatte moniert, dass die „Fäkal- und Urogenitalsfäre“ von deutschen Schriftstellern „verlogen-vernachlässigt“ würde. Reemtsma knüpfte im Podiumsgespräch da an, ich schmiss mich weg. Schmidt war mit seinen mathematischen Grundschullehrerkenntnissen, dem polyhistorischen Wahnsinnswissen, den Zettelkästen, der rumpelnden Erotik und solipsistischen Einmann-Avantgarde in der Heide hängengeblieben.

An dem Abend mit Reemtsma wurde mir klar, dass es allein an uns lag, wer wir waren und wo wir herkamen. („Autisten haben keine Eltern.“ Axel Brauns) Dass sich das aber nicht auf eine Gruppe übertragen ließ. Man brauchte nur einen Reemtsma und einen Zaimoglu, um den Mond zum Nashorn zu erklären. Der irre Schmidt als abwesender Geist, ein Derwisch, der krause Zaimoglu … Wer, um alles in der Welt, las eigentlich solche Sachen wie „Schwänze“ und „Kanak Sprak“?

Die Moderatorin charakterisierte Zaimoglu als „Spracherneuerer“ in der Tradition von Arno Schmidt. Ich notierte: Arno Schmidt grass-norddeutsch weiterschreiben.

Das Publikum vermied jeden Aufwand. Nahm einer die Brille ab, um am Bügel zu kauen, war das schon was.

Ich schrieb: Während die Bundesrepublik als zukunftsfähiges Unternehmen in Betrieb genommen wurde, gab Arno Schmidt den ewigen Kriegsheimkehrer im Flachland. Sein Devise war: Wirtschaftswunder nein danke.

Schmidt wollte „die Frau“ in skelettierten Gegenden mathematisch dominieren. Sie sollte ihm erliegen, wo sonst nichts mehr war. Die Menschheit hatte das Elend hinter sich. Nur einer, der wilde Schmidt nämlich, hatte überlebt, um auf einer weitgehend entvölkerten Erde einer Frau zu begegnen, die Schreibmaschine und Anbetung konnte.

...

Arno Schmidt: Was würdn wa denn heute sagn, wenn der Junge vom Tischler-Josef drüben, eben issa aus der Volksschule, uns über Gottundewelt belehren wollte? Der hat doch nischt gelernt! Kann keene Sprachen, hält de Erde fürn Fannkuchen, wees bloß Kreisklatsch. Kunst und Wissenschaft, Mattematiek, oder wie die Brüder alle heeßen: keene Ahnung! Gelebt oder'n Beruf ausgeübt hat er ooch nich, also ooch keene menschliche Erfahrung weiter; nischt durchgemacht -' (ein großer Schluck Bier): 'was hat Der mir groß zu sagen?!

Das war weiß Gott nicht weit von Kanak Sprak.