Ein Dutzend Klischees konferiert in einem Bild, das kaum mehr Aufmerksamkeit als ein Kalenderblatt verlangen kann. Ein nicht sehr hübsches Mädchen, das wird betont und im Detail variiert, gibt als Leiche der Polizei Rätsel auf. Man fand es „auf einem Blätterbett” im Bois de Boulogne „unter einer Pferdedecke”. Es zeigt sich ein Bestreben, das Grobe an der Angelegenheit auch grob erscheinen zu lassen. Als lebhaftes Gegenteil der toten Mademoiselle Dupuis tritt Elianne im Diorkleid mit Maud-et-Nano-Hut und Hermès-Schirm auf. Ihre Silhouette nennen Franzosen „amerikanisch”. Die Marquise de Marsec ist zwar längst auf den bürgerlichen Hund gekommen und so abhängig von Vorschüssen wie jede verschwendungssüchtige Verkäuferin, doch befreien solche populären Verminderungen sie nicht von ihrer Noblesse. Die Marquise arbeitet als Mannequin, wenn sie nicht den Chef der psychiatrischen Abteilung der Pariser Polizei unterstützt. Als brillanter Kopf kultiviert Doktor Lorme eine Spielart des Fadesse. Das erzählt Ruth Landshoff-Yorck in einem Film noir in Worten. „In den Tiefen der Hölle” entstand in den Neunzehnhundertfünfzigerjahren, wurde aber erst vor ein paar Jahren aus dem Nachlass der 1966 verstorbenen Autorin veröffentlicht.
Ruth Landshoff-Yorck, „In den Tiefen der Hölle“, Erstausgabe aus dem Nachlass. Hrsg. und mit einem Nachwort von Walter Fähnders. AvivA Verlag, 269 Seiten, 19,50,-
Alfred Andersch warb vergeblich für den Titel. Das Leben der 1904 in Berlin geborenen Ruth Landshoff-Yorck stand lange unter einem glücklichen Stern. Der Tochter mondäner Leute und Nichte der Verlegerlawine Samuel Fischer gelang vieles aus dem Stand. Sie gefiel Oskar Kokoschka. In Friedrich Murnaus „Nosferatu” ergatterte sie eine Rolle. Sie diente dem Zeitgeist im Ullstein-Imperium mit Reportagen und debütierte ernsthaft bei Rowohlt. Friedrich Sieburg meinte: „Bei ihr ist alles Sekt.”
Ab Dreiunddreißig das Übliche in den glücklicheren Verläufen des Überlebens - Exil in Frankreich und Amerika - Die internationale Theaterszene bietet Erfolgen Spielplätze.
Das im AvivA Verlag seit 2001 erscheinende Werk gehört zu den Trouvaillen der besonders in den Neunzehnhundertzwanzigerjahren immer wieder fündig werdenden Verlegerin Britta Jürgs. Ihre Spezialität sind Schriftstellerinnen mit der Aura Neuer Sachlichkeit und einem Radical Chic lange vor Tom Wolfe. Jürgs führte wiederholt ein dem kollektiven Gedächtnis verloren gegangenes Gelingen von Kunst und Leben in den Kanon zurück.
Ruth Landshoff-Yorcks Erzählmanier suggeriert ein animatorisches Kalkül. Im dritten Mordfall trägt das Opfer eine Kette von Tiffany. Es verblutet in einem Arrangement von Rhododendron und Diamanten. Das macht den Innenminister nervös. Er fährt im Simca La Ronde zu Lorme und scheucht das Superhirn in die scheußliche Nacht.
Aus der Ankündigung
Bereits drei Frauen wurden in den Parks von Paris mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden, ohne dass es die geringste Spur eines Täters gibt. Der Polizeipsychologe Dr. Lorme wird beauftragt, das Rätsel zu lösen und begibt sich nur widerwillig auf die Suche nach möglichen Motiven und Zusammenhängen. Unterstützt wird er von seiner Assistentin Elliane, ihrem Mann und einem jungen Künstler. Der Doktor tappt lange im Dunkeln, bis ihn ein Hinweis erreicht, der die Aufklärung der Morde verspricht. Dieser Spur folgend, gerät er in große Gefahr. Tagelang ohne Wasser und Nahrung in einem fensterlosen Kellerraum eingesperrt und von einem Unbekannten gefoltert, reflektiert Lorme die Motive des Tötens und Quälens und landet dabei auch in seiner eigenen Kindheit. Auf der Suche nach dem Verschollenen macht Lormes Assistentin auf einem idyllischen Landsitz in der Bretagne eine grausame Entdeckung ...
Dieser trotz Fürsprache von Alfred Andersch – den die »souveräne, knappe, präzise, federnde und dabei zarte, schwebende écriture« der Autorin begeisterte – bisher unveröffentlichte Roman führt über eine scheinbar herkömmliche Kriminalgeschichte direkt in die Abgründe der menschlichen Psyche. Ruth Landshoff-Yorck greift darin Motive der Psychoanalyse auf und wirft einen kritischen Blick auf Mittel und Zweck der Psychotherapie.